Nach Quotenabschaffung: Milchbauern melken sich in den Ruin

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Milchbauern protestierten gegen die Milchpreise, die nicht mal die Hälfte der Kosten decken vor dem Schloss Fleesensee in Görhen-Lebbin in Mecklenburg-Vorpommern, wo am 15. April 2016 die Agrarminister über die Milchkrise berieten (Foto: Youtube/Bundesverband Deutscher Milchviehhalter BDM)
Milchbauern protestierten gegen die Milchabnahmepreise von 25 Cent pro Liter und weniger, die nicht mal die Hälfte der Kosten decken, vor dem Schloss Fleesensee in Göhren-Lebbin in Mecklenburg-Vorpommern, wo am 15. April 2016 die Agrarminister über die Milchkrise berieten (Foto: Youtube/Bundesverband Deutscher Milchviehhalter BDM)

Ein Jahr nach der Abschaffung der EU-Milchquoten zum 31. März 2015 melken sich Deutschlands Milchbauern in den Ruin. Je mehr sie melken, desto mehr fluten sie weltweit den Milchmarkt. Und desto mehr fallen die Preise, die ihnen wiederum den Garaus bereiten.

„Die Lage ist so dramatisch, dass täglich Landwirte und Landwirtinnen aufgeben“, sagte vor wenigen Tagen Schleswig-Holsteins Agrarminister Dr. Robert Habeck (46 Bündnis90/Die Grüne) der WELT. „Wenn das Höfesterben so weitergeht, werden in fünf Jahren allein in Schleswig-Holstein die Hälfte der Milchbauern verschwunden sein.“

Auf die Frage von Claudia Ehrenstein (Wirtschaftsredaktion WELT), wer für die Lage der Bauern verantwortlich sei, antworte der Landesagrarminister: „Bundesregierung und Bauernverband haben über Jahre auf eine Agrarpolitik gesetzt, die nur Mengenwachstum kennt. Sie sagen immer noch, dass es sich jetzt nur um einen notwendigen Anpassungsprozess nach Ende der Milchquote handelt, den die Bauern überstehen müssen. Ansonsten halten sie am alten System fest: ‚Wachse oder Weiche‘.“

Aber, so Dr. Habeck weiter: „Was die Milchbauern betrifft. Da gibt es momentan keinen funktionierenden Markt.“

Die Gründe seien systematisch

Minister Habeck: „Landwirte haben eine Andienungspflicht. Sie müssen ihre Milch bei den Meiereien abliefern. Und die Meiereien haben im Gegenzug eine Abnahmepflicht. Die Bauern werden ihre Milch also auf jeden Fall los, egal, wie viel sie produzieren und wie hoch die Nachfrage ist. Wenn die Preise niedrig sind, melken viele umso mehr, in der Hoffnung, wengistens etwas mehr von dem wenigen zu verdienen. Das macht die Lage nur noch schlimmer.“

Der Bundesverband Deutscher Milchviehalter (BDM) aus Freising in Bayern befürchtet, dass der Erzeugerpreis für einen Liter Milch in den nächsten zwei Monaten auf unter 20 Cent abstürzt. Damit wäre dann weniger als die Hälfte der Kosten gedeckt, sagte der Landesvorsitzende für Mecklenburg-Vorpommern, Christian Karp, der WELT.

„Die ersten Liefergemeinschaften in Nordrhein-Westfalen bekommen für ihren Rohstoff schon nur noch 15 Cent/Liter als Basispreis“, vermeldete Anselm Richard, Chefredakteur beim Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben aus Münster in Westfalen-Lippe. Seine Einschätzung: „Dafür kann niemand produzieren.“

Zur Bekämpfung der Milchkrise beschlossen alle deutschen Agrarminister am 15. April 2016, die Milchmenge zu reduzieren.

Mit einem unerwartet deutlichen Schritt in Richtung Krisenlösung ging am 15. April 2016 in Göhren-Lebbin  in Mecklenburg-Vorpommern die Agrarministerkonferenz zuende. Die Marktbeteiligten sollen letztmalig die Möglichkeit erhalten, die Milchmenge eigenverantwortlich zu reduzieren.

Die Politik ist bereit, diesen Schritt mit staatlichen Bonuszahlungen zu unterstützen. Der Bund wird aufgefordert, die Finanzmittel dafür bereitzustellen bzw. diese auf EU-Ebene einzuwerben.

Sollten diese freiwilligen Maßnahmen keine spürbare Marktentlastung bringen, wird es laut dem Vorsitz führenden Agrarminister Dr. Till Backhaus aus Mecklenburg-Vorpommern zu einer entschädigungslosen Mengenreduzierung nach Artikel 221 GMO mit  staatlichen Sanktionen kommen. Das Bundesministerium wird beauftragt, die faktischen und rechtlichen Voraussetzungen für Sanktionsmöglichkeiten prüfen zu lassen  und in Folge umzusetzen.

Dr. Backhaus: „Die Menge muss runter, Angebot und Nachfrage müssen wieder ins Gleichgewicht kommen.“

Minister Dr. Backhaus betonte ausdrücklich, dass es sich hierbei nicht etwa um die verdeckte Wiedereinführung der Quote, sondern um ein Kriseninstrument in Zeiten einer katastrophalen Marktstörung handle, die auch die EU dazu veranlasst habe, Maßnahmen gemäß dem Krisenparagraph zu ergreifen.

So hat die EU-Kommission entschieden, ab dem 12. April 2016 auf sechs Monate befristet Verabredungen unter Landwirtschaftsbetrieben zur erzeugten Milchmenge zuzulassen. „Wir sind davon überzeugt, dass das Prinzip der Freiwilligkeit bei der Mengenreduzierung nur greifen kann, wenn wir für die Landwirte Anreize schaffen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich die Betriebe andernfalls nicht trauen den Anfang zu machen, aus Angst, dass die Konkurrenz nicht nachzieht“, sagte er weiter.

So hätten die Ministerinnen und Minister mit großer Besorgnis zur Kenntnis genommen, dass die Milchanlieferung in Deutschland im vergangenen Jahr trotz ruinöser Milchpreise weiterhin expansiv war. Der Übergang von der Quotenregelung in das marktliberale System habe einen Strukturwandel eingeleitet, der nicht dazu führen dürfe, dass zukunfts- und wettbewerbsfähige Betriebe in die Insolvenz gehen, weil sie erhebliche Investitionen in moderne Technik, Stallumbauten und mehr Tierwohl getätigt haben.

Schleswig-Holsteins Agrarminister Dr. Habeck: “Das war eine extrem politische und umkämpfe Agrarministerkonferenz. Vor dem Hintergrund, dass nur einstimmige Beschlüsse vorgesehen sind, war es sehr schwer, eine gemeinsame Linie zu finden. Dass dies gelungen ist, ist ein starkes Signal auch an den Bund, endlich tätig zu werden.

Zeit, in der Politiker immer nur die Symptome bekämpfen, indem sie Liquiditätshilfen ohne Mengenreduktion auflegen, ist vorbei. Wir dürfen den Bauern und Bäuerinnen nicht mehr vormachen, wir würden für sie eintreten, während sie in Wahrheit ohne Perspektive immer weiter in die Verschuldung getrieben werden.” Es müsse eine Alternative zum reinen Kurs des „Wachse oder Weiche“ geben.

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