Doping-BGH-Schlappe: Claudia Pechstein will Gewerkschaft gründen

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Die Berliner Eisschnellläuferin Claudia Pechstein 44 kämpft bislang erfolglos gegen die zweijährige Dopingsperre der Internationalen Eislauf Union (ISU) aus dem Jahre 2009 und um eine Entschädigung von 5 Millionen Euro, der BGH entschied gestern, dass Pechstein keinen Zugang zu deutschen Gerichten in dieser Sache hat (Foto Pechstein bei der WM 2008 in Berlin: Wikipedia/Olivia Lempe - Eigenes Werk)
Die Berliner Eisschnellläuferin Claudia Pechstein (44) kämpft bislang erfolglos gegen die zweijährige Dopingsperre der Internationalen Eislauf Union oder englisch International Skater Union (ISU) aus dem Jahre 2009 und um eine Entschädigung von 5 Millionen Euro. Der BGH entschied gestern, dass Pechstein keinen Zugang zu deutschen Gerichten in dieser Sache hat (Foto Pechstein bei der WM 2008 in Berlin: Wikipedia/Olivia Lempe – Eigenes Werk)

5 Millionen Euro Schadensersatz verlangt die international erfolgreiche Eisschnellläuferin Claudia Pechstein (44) von der Internationalen Eislauf Union in Lausanne (Schweiz). Die Berliner Polizeihauptmeisterin der Bundespolizei Pechstein  will Gerechtigkeit. Nach einer gestrigen Schlappe vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe will sie nun weiter vors Bundesverfassungsgericht und wenn nötig auch vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.

Claudia Pechstein ist Deutschlands erfolgreichste Winterlympionikin aller Zeiten. Sie gewann 5 mal Gold, 2 mal Silber und 2 mal Bronze. Die ISU, die alle Eislauf-Wettkämpfe organisiert, hat die fünffache Weltmeisterin am 1. Juli 2009 wegen zu hoher Blutwerte für zwei Jahre gesperrt.

Zu Unrecht, findet die Sportlerin. Pechstein führte die Blutwerte stets auf eine von ihrem Vater vererbte Anomalie zurück und wurde in dieser Einschätzung von führenden Hämatologen bestätigt. So etwa von Professor Hermann Heimpel in einem Gutachten vom 11. Februar 2010.

Das Sportsschiedsgericht CAS, das Pechstein zunächst anrief, gab der ISU Recht und nährte seine These, „eine Blutanomalie ist auszuschließen“ unter anderem mit Passagen aus einem voläufigen Arztbericht von Professor Hubert Schrezenmeier, der sich laut Pechstein hinterher darüber beschwert habe, was aber ohne Wirkung geblieben sei.

Pechstein beklagte:  „Ich bin in den knapp 20 Jahren meiner Karriere durchschnittlich 18 mal pro Jahr getestet worden. 357 Tests, die ich anhand von Durchschriften oder ISU-Daten belegen kann. Mehr als die Hälfte meiner Tests waren übrigens Out-Of-Competition.  

192 (!) mal in meiner Karriere haben mich die Kontrolleure überraschend und unangemeldet zur Urin- oder Blutprobe gebeten. Selbstredend dass alle diese Proben – genauso wie auch alle  Wettkampfkontrollen – negativ waren. 

Hinzu kommt, dass es bei den unangemeldeten Kontrollen auch kein einziges Mal einen auffälligen Hämoglobinwert gab. Da die ISU mir ja zunächst ein Jahrzehnt lang Blutdoping vorgeworfen hat, ehe sie dann auf sieben Jahre ‚verkürzte‘, unterstellte sie mir gleichzeitig, dass ich in diesem Zeitraum mein angeblich gedoptes Blut durch große Mengen von Flüssigkeiten so manipuliert hätte, dass mein Hämoglobinwert ständig unauffällig gewesen sei. 

Hat sich eigentlich von den Anklägern jemals jemand gefragt, wie es mir bei fast 200 (!) unangemeldeten Tests jedesmal kurz zuvor gelungen sein soll, mein Blut so zu verdünnen, dass mein Hämoglobinwert keine Auffälligkeiten zeigte?“

Vor dem zuständigen Gericht in der Schweiz blitzte Claudia Pechstein ab. Nun versuchte sie es in Deutschland. Das Landgericht München hatte sich für den Fall zunächst nicht zuständig erklärt, daraufhin war die Sportlerin erfolgreich vor das OLG gezogen. Die ISU war als unterlegene Partei anschließend beim BGH in Revision gegangen. Der hatte nun gestern gegen Pechstein entschieden.

Pechstein argumentierte, dass die ISU gar nicht die Interessen der Sportler vertrete, weil sie fast nur von Funktionären gewählt worden seien. Deshalb sei die ISU-Sperre nicht unparteiisch und nicht akzeptabel.

Das wies der BGH gestern zurück. Es gebe keinen Interessenkonflikt zwischen Verbänden und Sportlern, da Anti-Doping im Interesse aller läge. Außerdem sei Deutschland als Gerichtsstand nicht zuständig, sondern der Sitz der ISU, die Schweiz.

Pechstein wil nun eine Sportgewerkschaft gründen

Pechstein nahm das Urteil erst wortlos entgegen. Später platzte es aus ihr heraus. Wütend sagte sie laut BILD: „Jeder Flüchtling, der in Deutschland einreist und registriert wird, genießt Rechtsschutz. Aber wir Sportler nicht.“

Und: „Wir Sportler sind scheinbar Menschen zweiter Klasse. Was ich da heute gehört habe, ist definitiv nicht akzeptabel für mich. Fest steht: Es ist noch nicht zu Ende“, so Pechstein weiter nach der Urteilsverkündung. Der CAS sei „kein unabhängiges Gericht. Ich werde eine Sportlergewerkschaft gründen“, kündigte sie an.

Pechstein wolle nur vors Bundesverfassungsgericht gehen und wenn nötig auch vor den Europäischen Gerichtshof

Die Pressestelle des Bundesgerichtshofes teilte zum BGH-Urteil gegen Pechstein mit:

„Urteil vom 7. Juni 2016 – KZR 6/15 

Die Klägerin, Claudia Pechstein, eine international erfolgreiche Eisschnellläuferin, verlangt von der beklagten International Skating Union (ISU), dem internationalen Fachverband für Eisschnelllauf, Schadensersatz, weil sie – nach ihrer Auffassung zu Unrecht – zwei Jahre lang wegen Dopings gesperrt war. Im Revisionsverfahren geht es im Wesentlichen um die Frage, ob eine von der Klägerin unterzeichnete Schiedsvereinbarung wirksam ist, die unter anderem die ausschließliche Zuständigkeit des Court of Arbitration for Sport (CAS) in Lausanne vorsieht. 

Die Beklagte ist monopolistisch nach dem ‚Ein-Platz-Prinzip“‚organisiert, das heißt es gibt – wie auch auf nationaler Ebene – nur einen einzigen internationalen Verband, der Wettkämpfe im Eisschnelllauf auf internationaler Ebene veranstaltet. Vor der Eisschnelllauf-Weltmeisterschaft in Hamar (Norwegen) im Februar 2009 unterzeichnete die Klägerin eine von der Beklagten vorformulierte Wettkampfmeldung. Ohne Unterzeichnung dieser Meldung wäre sie zum Wettkampf nicht zugelassen worden. In der Wettkampfmeldung verpflichtete sie sich unter anderem zur Einhaltung der Anti-Doping-Regeln der Beklagten. Außerdem enthielt die Wettkampfmeldung die Vereinbarung eines schiedsgerichtlichen Verfahrens vor dem CAS unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs. Bei der Weltmeisterschaft in Hamar wurden der Klägerin Blutproben entnommen, die erhöhte Retikulozytenwerte aufwiesen. Die Beklagte sah dies als Beleg für Doping an. Ihre Disziplinarkommission verhängte gegen die Klägerin unter anderem eine zweijährige Sperre. Die hiergegen eingelegte Berufung zum CAS war erfolglos. Auch eine Beschwerde und eine Revision zum schweizerischen Bundesgericht blieben in der Sache ohne Erfolg. 

Die Klägerin hat daraufhin Klage zum Landgericht München I erhoben. Sie verlangt Ersatz ihres materiellen Schadens und ein Schmerzensgeld. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht München hat dagegen durch Teilurteil festgestellt, dass die Schiedsvereinbarung unwirksam und die Klage zulässig sei. 

Die Revision der ISU bekämpft diese Bewertung. Die Klägerin meint hingegen mit dem Oberlandesgericht, die Schiedsvereinbarung sei nach § 19 GWB* unwirksam. Die ISU habe durch den Zwang, entweder die (alleinige) Zuständigkeit des CAS als Schiedsgericht zu vereinbaren oder an der Weltmeisterschaft nicht teilzunehmen, ihre marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt. Die Schiedsrichterliste des CAS, aus der die Parteien jeweils einen Schiedsrichter auswählen müssen, sei nicht unparteiisch aufgestellt worden, weil die Sportverbände und olympischen Komitees bei der Erstellung der Liste ein deutliches Übergewicht hätten. 

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs ist dieser Argumentation der Klägerin nicht gefolgt. Er hat entschieden, dass die Klage unzulässig ist, weil ihr die Einrede der Schiedsvereinbarung entgegensteht. 

Die Beklagte ist zwar bei der Veranstaltung von internationalen Eisschnelllaufwettbewerben marktbeherrschend. Ob das Verlangen nach Abschluss einer Schiedsabrede, die die ausschließliche Zuständigkeit des CAS vorsieht, einen Missbrauch dieser marktbeherrschenden Stellung darstellt, ergibt sich aber erst aus einer umfassenden Abwägung der beiderseitigen Interessen. Bei dieser Abwägung hat der Kartellsenat kein missbräuchliches Verhalten der Beklagten feststellen können. 

Der CAS ist ein „echtes“ Schiedsgericht im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO. Weder der CAS selbst noch das konkrete Schiedsgericht sind wie ein Verbands- oder Vereinsgericht in eine Organisation eingegliedert. Dem steht nicht entgegen, dass die Schiedsrichter aus einer geschlossenen Liste ausgewählt werden müssen und dass diese Liste von einem Gremium erstellt wird, dem überwiegend Vertreter der internationalen Sportverbände und der Olympischen Komitees angehören. Diese Regelung begründet kein strukturelles Ungleichgewicht bei der Besetzung des konkreten Schiedsgerichts. Denn die Verbände und die Athleten stehen sich nicht als von grundsätzlich gegensätzlichen Interessen geleitete Lager gegenüber. Vielmehr entspricht die weltweite Bekämpfung des Dopings sowohl den Interessen der Verbände als auch denen der Athleten. 

Die mit einer einheitlichen internationalen Sportsgerichtsbarkeit verbundenen Vorteile, wie etwa einheitliche Maßstäbe und die Schnelligkeit der Entscheidung, gelten nicht nur für die Verbände, sondern auch für die Sportler. Ein dennoch verbleibendes Übergewicht der Verbände wird ausgeglichen durch die Verfahrensordnung des CAS, die eine hinreichende individuelle Unabhängigkeit und Neutralität der Schiedsrichter gewährleistet. Der konkret an dem Verfahren vor dem CAS beteiligte Sportverband – hier die ISU – und der Athlet müssen je einen Schiedsrichter aus der mehr als 200 Personen umfassenden Liste auswählen. Diese Schiedsrichter bestimmen gemeinsam den Obmann des Schiedsgerichts. Ist ein Schiedsrichter befangen, kann er abgelehnt werden. Die unterliegende Partei hat die Möglichkeit, bei dem zuständigen schweizerischen Bundesgericht um staatlichen Rechtsschutz nachzusuchen. Das schweizerische Bundesgericht kann den Schiedsspruch des CAS in bestimmtem Umfang überprüfen und gegebenenfalls aufheben. 

Die Klägerin hat die Schiedsvereinbarung freiwillig unterzeichnet. Dass sie dabei fremdbestimmt gehandelt hat, da sie andernfalls nicht hätte antreten können, führt nicht zur Unwirksamkeit der Vereinbarung. Denn auch insoweit ergibt die Abwägung der beiderseitigen Interessen am Maßstab des § 19 GWB eine sachliche Rechtfertigung der Verwendung der Schiedsklausel, die nicht gegen gesetzliche Wertentscheidungen verstößt. Dem Justizgewährungsanspruch der Klägerin sowie ihrem Recht auf freie Berufsausübung steht die Verbandsautonomie der Beklagten gegenüber. Schließlich ist der Klägerin im Anschluss an das Schiedsgerichtsverfahren Zugang zu den nach internationalem Recht zuständigen schweizerischen Gerichten möglich. Ein Anspruch gerade auf Zugang zu den deutschen Gerichten besteht danach nicht. 

* § 19 GWB aF Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung 

(1) Die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen ist verboten. 

(…) 

(4) Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen 

1.(…) 

2. Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden; hierbei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen“

Bundesinnenminister Thomas de Maizière begrüßt das Urteil:

„Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil für Klarheit und Rechtssicherheit bei Schiedsvereinbarungen im Sport gesorgt. Das ist erfreulich. Zu Recht hebt der Bundesgerichtshof hervor, dass die mit der Sportschiedsgerichtsbarkeit verbundenen Vorteile gleichermaßen dem Verband wie auch dem Athleten zugutekommen. Aus diesem Grund haben wir auch mit unserem Antidopinggesetz die Sportgerichtsbarkeit gestärkt. Die Reformbemühung der CAS sollten allerdings wegen des Urteils nicht nachlassen.“

Der Pressesprecher des Bundesinninministeriums, Dr. Johannes Dimroth, ergänzte: „Mit seinem Urteil stellt der BGH fest, dass die International Skating Union (ISU) durch das Verlangen auf Abschluss einer Schiedsvereinbarung gegenüber Frau Pechstein ihre marktbeherrschende Stellung nicht missbraucht hat. Zudem gewährleiste Zusammensetzung und Verfahrensordnung des Court of Arbitration (CAS) ein unparteiliches Verfahren. Die Verfahrensordnung des CAS sorge für die Überparteilichkeit und Unabhängigkeit der Entscheidungen. Schiedsrichter könnten als befangen abgelehnt und das schweizerische Bundesgericht als zuständiges Zivilgericht angerufen werden.“

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