Wegen Flut von Bürgeranfragen: Bundestag gibt 4.000 Gutachten frei

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Professor Dr. Norbert Lammert
Wegen einer Flut von Bürgeranfragen gab Bundestagspräsident und Ältestenratschef Professor Dr. Norbert Lammert (67, CDU/CSU) letzte Woche die Geheimniskrämerei um die Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages auf und macht diese nun öffentlich (Foto: Deutscher Bundestag/Unger)

Vom Nacktbaden in Nachbars Garten über Freihandelsabkommen TTIP mit den USA oder Flüchtlings-Entlohnung bis hin zum Völkermord in Armenien – in den letzten 10 Jahren hat der Bundestag 4.000 Gutachten und wissenschaftliche Ausarbeitungen in Auftrag gegeben. Jedes Jahr kommen hunderte Gutachten hinzu, die der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags erstellt und die den Abgeordneten als Entscheidungsgrundlage dienen. Wähler, Bürger oder Journalisten bekamen diese Gutachten nie zu sehen. Fragen danach wurden mit der Begründung abgewimmelt, der Bundestag würde auf diese Art ausgeforscht werden.

Gegen eine solche Geheimniskrämerei und Entmündigung des Bürgers gingen die Vereine Parlamentwatch e.V. aus Hamburg und Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. aus Berlin Kreuzberg nun erfolgreich vor.

Bundestagspräsident Norbert Lammert gab am 18. Februar 2016 bekannt, dass auf Beschluss des Ältestenrates des Bundestages ab sofort alle Gutachten und Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes für jedermann im Internet auf der Bundestagsseite Bundestag.de abrufbar sind. „Die Möglichkeit, die Arbeit allein dem Auftraggeber vorzubehalten (‚Vertraulich‘-Stellung), wird es künftig nicht mehr geben,“ schrieb Lammert den Abgeordneten in einer E-Mail.

Diese neue Offenheit kam nicht freiwillig.

Denn Parlamentwatch und Open Knowledge richteten im vergangenen Jahr die Seite FragdenStaat.ein, sammelte Bürgeranfragen und leitete diese an die entsprechenden Behörden weiter.

Unter der Flut der Anfragen gab der Bundestag nach.

Martin Reyher vom Parlamentwatch e.V. gab nach Lammerts E-Mail an die Abgeordneten am selben Tag bekannt: Es „wurden bis heute Nachmittag mehr als 2.000 Gutachten per Informationsfreiheitsgesetz vom Bundestag angefordert. Hätte die Parlamentsverwaltung am Ende alle Gutachten einzeln bearbeitet und verschickt, hätte dies mehrere hundert Arbeitstage verschlungen und zehntausende Euro an Kosten verursacht.

Dem Irrsinn ein Ende bereitet

Diesem Irrsinn hat der Ältestenrat des Bundestages heute ein Ende bereitet und endlich eine proaktive Veröffentlichung aller Gutachten beschlossen. In seiner Mail an die Abgeordneten deutet Bundestagspräsident Norbert Lammert an, dass dies auch eine Reaktion auf die über 2.000 Bürgeranfragen via FragDenBundestag.de war. ‚Vielfach dienen diese Anträge erkennbar dem Zweck, externe Datenbanken über die erstellten Gutachten der WD aufzubauen.‘ Genau das war das erklärte Ziel von FragDenBundestag.de: Mithilfe zahlreicher Bürgerinnen und Bürger, die ein Gutachten beim Bundestag anfordern und dann auf FragDenBundestag.de hochladen, eine öffentlich zugängliche Datenbank mit allen verfügbaren Gutachten aufzubauen.

Dies ist nun nicht mehr notwendig: Der Bundestag stellt die Ausarbeitungen endlich von sich aus ins Netz! Neben Gutachten zu TTIP, Bürgerbeteiligung oder Lobbyismus werden auch skurrile juristische Ausarbeitungen das Licht der Welt erblicken – etwa zu den ‚rechtlichen Möglichkeiten gegen das Nacktbaden auf einem benachbarten Grundstück‘. Ein solches war vermutlich aus nicht ganz uneigennützigen Gründen beim Wissenschaftichen Dienst in Auftrag gegeben worden.“

Bereits jetzt stehen auf der Bundestagsseite fast 900 Ausarbeitungen des Bundestags zur Verfügung, teils als Scan, teils offensichtlich als Original-PDF. Das Gutachten „Zu den rechtlichen Möglichkeiten gegen das Nacktbaden auf einem benachbarten Grundstück“ ist bisher nicht darunter, dafür Gutachten zu einer möglichen Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn für Flüchtlinge, TTIP und Menschenrechte sowie zum Völkermord an den Armeniern.

Außerdem ändert der Bundestag die Praxis seiner Ausarbeitungen:

Künftig werden alle Gutachten nach einer Schutzfrist von vier Wochen nach der Ausarbeitung durch den Bundestag online veröffentlicht. Dabei wird der Name der Auftraggeberin nicht bekanntgegeben. Die Möglichkeit, ein Gutachten vertraulich einer Bundestagsabgeordneten exklusiv vorzubehalten, wird es künftig nicht mehr geben. Welche Jahrgänge das Archiv letztlich umfassen wird, ist derzeit noch unklar.

Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Juni 2015 ist der Bundestag verpflichtet, Gutachten auf Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz IFG herauszugeben.

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5 KOMMENTARE

  1. Die Frage ist, wer hat die Gutachten erstellt?
    Wenn man einem Büro, welches an TTIP mitwirkt, ein Gutachten darüber erstellen lässt, ist klar was dabei raus kommt.
    Also sind die Gutachten wirklich unabhängig, die Frage finde ich viel wichtiger.

  2. Da kann man wieder sehen, für wie dumm und klein man den Bürger jahrelang gehalten hat und eigentlich auch weiter möchte.
    Wie kann man denn Volksvertreter ausforschen, wo sie doch für das Volk sind und nicht gegen?
    Weg mit diesem Pack!
    Richtig wählen und Wahlbeobachter werden!

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