Gulasch und Stille Nacht bei Bauern: Stalingrad machte keine 17-Jährigen zu Helden

Praktisch von der Schulbank weg mussten ab 1943 auch vermehrt Jugendliche in den Krieg ziehen. Sie sollten die Russen aufhalten, obwohl die Schlacht um Stalingrad verloren war.

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„Von unserer Infanterie war außer Toten nichts mehr zu sehen. Plötzlich kamen die Russen in wenigen hundert Metern auf breiter Front aus der Nebelwand heraus.“

So erlebte der damals 17jährige Funker August Götz (92) aus Bellheim in der Pfalz die letzen Wochen des Krieges. Er war wie viele seiner Klassenkameraden als Volkssturm an die Ostfront geschickt worden.

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 Trailer Die Bruecke: deutscher Kriegsfilm von 1959

In der kriegsentscheidenden Schlacht um Stalingrad war es erstmals zu einer großen Niederlage der Wehrmacht gekommen. Mehr als 1,35 Millionen Soldaten beider Seiten ließen ihr Leben. Der deutsche Führer Adolf Hitler hatte dabei keine Skrupel vor dem Massentod.

Hitlers Durchhaltebefehl

Wenige Stunden, nachdem Stalingrad von der Roten Armee eingekesselt wurde, kam am 23. Dezember 1942 Hitlers Befehl durchzuhalten. Den Deutschen im Kessel von Stalingrad wurde versprochen, dass sie aus den „Roten Fängen“ befreit würden. Die Wehrmachtssoldaten selbst durften nicht ausbrechen. Eine verhängnisvolle Entscheidung.

Mehrere Kapitulationsanfragen von Friedrich Paulus, dem General der in Stalingrad eingekesselten 6. Armee, an Hitler, wurden abgelehnt. Nachdem die Front jedoch immer weiter weg von Stalingrad verschoben wurde und die Luftbrücke zusammenbrach, wurden die Moral und die Hoffnungen in der Truppe immer geringer. Essens-Rationen und Munition wurden weiter und strenger rationiert, bis die Soldaten des Achse-Bündnisses dann am 2. Februar 1943 schließlich kapitulierten.

Warum genau Stalingrad?

Stalingrad war eher ein psychologisches Ziel. Eine Stadt, welche den Namen Stalins trug. Hitler wollte nur eines: die totale Vernichtung der Stadt. Und dies wurde auch umgesetzt, mehrere Bomberstaffeln der Deutschen bombardierten Stalingrad, bevor die ersten deutschen Soldaten dort ankamen. Allerdings brauchte Hitler noch eine Erklärung vor seinen Generälen. Hitler sagte seinen Generälen, dass der Russe kurz vor der Kapitulation steht und dass man nur noch Stalingrad nehmen müsse.

Daraufhin würde der Russe zusammenbrechen. Tatsächlich war rings um Stalingrad ein wichtiges Industrie-Gebiet. Somit gab es auch eine gut ausgebaute Infrastruktur. Außerdem war im Süden der Kaukasus, welcher viel Öl und Wolfram bot, welches die Deutschen für Panzerabwehrkanonen sowie Panzermunition dringend benötigten. Hinter Stalingrad würde nicht mehr viel kommen, nur noch das Ural-Gebirge. Doch der hohe Industriealisierungsstand machte Stalingrad verteidigungsstark und zu einer Festung.

Stalingrad als Produktionsfestung

Selbst während der Schlacht nutzten die Verteidiger die großen Fabriken der Stadt Stalingrad, um T-34-Panzer herzustellen. Ungefärbt, unbeschriftet. Zivilisten wurden mit Waffen ausgestattet, um den erbitterten Kampf um Stalingrad zu verteidigen, Frauen und Kinder halfen beim Aufbauen von Barrieren, Männer kämpften mit Infanteriewaffen wie Maschinengewehren als Artilleristen oder Scharfschützen.

General Schukows Gegenbefehl

„Wir werden diese Stadt verteidigen oder bei dem Versuch sterben“, lautete der Befehl des sowjetischen Generals Georgi Konstantinowitsch Schukow. Schukow war auch der, der Moskau erfolgreich verteidigte. Und später Berlin eroberte.

Die Deutschen hatten Stalingrad direkt auf dem Stadtgebiet angegriffen, was viele erbitterte Haus-zu-Haus-Kämpfe mit sich brachte.

In der Zwischenzeit brachten die Sowjets Verstärkung über die Wolga direkt nach Stalingrad, wo viele von ihnen dann ihr Leben ließen. Doch die Deutschen wurden eingekesselt. Die Schlacht endete mit einer verheerenden Niederlage der deutschen Armee. Der 2. Februar 1943. Das war das Ende der Schlacht um Stalingrad und die Wende des II. Weltkrieges.

Einige Monate später, es war kurz vor Weihnachten 1943, erhielt der Schüler August Götz seinen Einberufungsbefehl. Er war 17 Jahre alt. Nach der Grundausbildung kam der gebürtige Hördter Ende März 1944 in die Höferkaserne in Homburg/Saar. Dort wurde er zum Funker ausgebildet. Kurz darauf ging es nach Polen.

Gulasch und Stille Nacht bei polnischen Bauern

In den ersten Wochen im November 1944 kamen er und seine Kameraden oft bei einheimischen Bauern unter. „An Heiligabend hat uns die Familie, die zwei Kinder hatte, zum Abendessen eingeladen. Es gab Gulasch, der uns sehr gut geschmeckt hat und lange in Erinnerung blieb. Während des Abends bat uns die Familie ,Stille Nacht, Heilige Nacht’ zu singen, was wir auch gerne getan haben“, erinnert sich Götz heute in seiner Heimatzeitung Die Rheinpfalz.

Dann der verhängnisvolle Befehl: Alle 16- bis 60jährigen Männer eines polnischen Dorfes zusammentreiben und in den Tod schicken

Götz konnte das nicht. „Da war ein Ehepaar und zwei Kinder in Nachthemden. Die Frau und die Kinder standen entsetzt da und weinten“, erinnert sich Götz. „Ich stand da, so wie es meine Pflicht war, den Stahlhelm auf dem Kopf, das Gewehr an der Schulter hängend. Vor mir die Familie, deren Schicksal mir sehr zu Herzen ging. Meine Pflicht war es, den Mann mitzunehmen.“

Auch wenn ihm selbst die Todesstrafe drohte, entschloss sich Götz, dem Mann zu helfen und bedeutete ihm, sich in einer Dachluke zu verstecken. Dem Wachtmeister gab er später vor, er habe den Mann an den Platz gebracht, was zu seinem Glück nicht aufflog.

Dem eigenen Tod im Trommelfeuer entkommen
Trailer Die Bruecke deutscher Kriegsfilm von 1959
 Trailer Die Bruecke: deutscher Kriegsfilm von 1959

Als Funker war Götz oft direkt an der Front eingesetzt. Er musste den einige Kilometer weiter hinten befindlichen Artilleriegeschützen Feuerbefehle durchgeben. An einem schicksalhaften Tag, dem 12. Januar 1945, fand er sich östlich von Radom am Brückenkopf Baranow wieder. Er war gerade wieder einmal an die Front beordert worden, als er ein schweres Gedonner, das so klang wie ein Hochgewitter, hörte. „Gleich schlugen um uns herum die ersten Granaten ein. Da lagen wir auch schon flach auf dem Boden. In diesem Moment begann die Winteroffensive der Russen an der gesamten Ostfront.“ Sie sollte bis weit ins Deutsche Reich hineinrollen.

Das stundenlange Trommelfeuer hatte die deutsche Frontlinie zerschlagen. „Von unserer Infanterie war außer Toten nichts mehr zu sehen. Plötzlich kamen die Russen in wenigen hundert Metern auf breiter Front aus der Nebelwand heraus.“ Und sein Vorgesetzter rief: „Auf. Wir gehen!“ Dies war der Anfang einer wochenlangen Flucht, in der Götz viele Male dem Tod von der Schippe sprang. Sein gleichaltriger Freund Walter Gundermann aus Hördt, der mit ihm eingezogen worden war, wurde verwundet und starb später in russischer Gefangenschaft bei einem Fluchtversuch.

Während von oben der Befehl kam, bis zur letzten Patrone zu kämpfen, war die russische Armee bereits in Berlin einmarschiert. Götz’ Vorgesetzter fälschte Marschbefehle Richtung Westen, die ganze Batterie war nun fahnenflüchtig auf noch deutsch besetztem Gebiet. An der tschechisch-bayerischen Grenze ergab sich Götz mit 32 seiner Kameraden den Amerikanern.

Ausgehungert und am Ende seiner Kräfte wurde August Götz schließlich entlassen und konnte zurück in seine Heimat. „Mein erster Gedanke, als ich wieder in Hördt war, war: „Seltsam, es schießt gar keiner nach mir“, erinnert sich Götz.

Er schaut auf sein Bild von damals in seiner Wehrmachts-Uniform: „Ich wurde nicht gefragt, ob ich die Uniform anziehen möchte oder nicht.“

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