Dragoner-Areal: Senat erklärte Privatbesitz zu Sanierungsgebiet

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Zur Absicherung, dass die österreichischen Investoren auch wirklich 200 Sozialwohnungen von 400 möglichen Wohnungen bauen, erklärte der Senat das Dragonergelände hinterm Finanzamt Friedrichshain-Kreuzberg für die nächsten 10 Jahre zum Sanierungsgebiet (Foto: Stadtentwicklungssenat/Planerbemeinschaft Kohlbrenner eG)
Zur Absicherung, dass die österreichischen Investoren auch wirklich 200 Sozialwohnungen von 400 möglichen Wohnungen bauen, erklärte der Senat das Dragonergelände hinterm Finanzamt Friedrichshain-Kreuzberg für die nächsten 10 Jahre zum Sanierungsgebiet (Foto: Stadtentwicklungssenat/Planergemeinschaft Kohlbrenner eG)

Eigentlich hat sich ja vor zwei Jahren der Berliner Unternehmer Arne Piepgras (59) aus Nikolassee, zu dem die Besitzgesellschaft des  Stadtbades Wedding (Gerichtsstraße 65 GmbH) gehört, das letzte innerstädtischen Riesen-Filetgrundstück in Kreuzberg gesichert.  Mit einem Gebot von 36 Millionen Euro hat er alle anderen 40 Bauinteressenten für das alte preußische Pferdekasernengelände am Mehringdamm Ecke Obertrautstraße in Kreuzberg, das dem Bund gehörte, aus dem Rennen geschlagen. Darunter auch den Berliner Senat, der lediglich den Verkehrswert von 18 Millionen Euro bezahlen wollte und durfte.

Piepgras verkaufte das Gelände weiter an das Prager Unternehmen European Property Group Holding AG der Österreicher Dr. Werner Ebm und Isabella Ponta und gründete mit der Prager Firma (94,9 Prozent), dem Wiener Firmengründungsanwalt Dr. Erik Steger (5,1 Prozent) und seiner Gerichtsstraße 65 GmbH (10 Prozent) die Dragonerhöfe GmbH.

Auf Betreiben des Berliner Finanzsenators Dr. Matthias Kollatz-Ahnen (58, SPD), der vorher für die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers arbeitete, legte der Finanzausschuss des Bundesrates gegen den Verkauf des bundeseigenen Geländes am 10. September 2015 sein Veto ein.

Bis dahin galt für bundeseigene Grundstücke eine Höchstpreis-Devise. Das heißt, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) immer das Maximale beim Verkauf eines Grundstückes für die Allgemeinheit herausholen musste. Aber angesichts der Flüchtlinge und der Wohnungsnot schwenkte die Bundesregierung um. Wenige Tage vor dem Veto hatte der Koalitionsausschuss auf Bundesebene beschlossen, dass den Kommunen sofort und verbilligt Gebiete für sozialen Wohnungsbau angeboten werden sollen. „Das ist genau das, was wir fordern“, kommentierte Kollatz-Ahnen diesen Beschluss in der rbb Abendschau.

Doch der Bundesfinanzminister als Dienstherr der BIMA macht bis heute keine Anstalten, den Verkauf an Piepgras und die Österreicher rückabzuwickeln.

Denn die neuen Eigentümer wollten einen „authentischen Kreuzberger Kiez“ errichten, mit „Wohnungen zu sozialverträglichen Mieten“, Ateliers, Restaurants, Geschäften, Cafés und Werkstätten. Die Wohnungen wollten sie selbst vermieten und nicht veräußern.

Doch lokale Aktivisten wie „Stadt von Unten“ riefen zu Demos auf, die nächste ist am 17. Juli 2016 von 11:30 bis 13:30 Uhr in der Fidicinstraße 3, und befürchten stattdessen, dass es sich bei Piepgras und die Österreicher um reine Spekulanten handeln würde, die auf dem sechs Fußballplätze großen Areal, wo heute ein paar Kfz.-Werkstätten, ein Biomarkt und das Club Gretchen sind, keine sozialen Wohnungen entstehen würden.

Auch Bausenator Andreas Geisel (SPD) stimmte laut DPA letzten Dienstag in die Befürchtung ein und behauptete, wer 36 Millionen Euro für ein solches Grundstück zahle, der „wolle sicher keine Sozialwohnungen bauen“. Dabei hatten die Eigentümer erklärt, dass sie sozialverträgliche Mieten in ihre Kalkulation einbezogen hätten.

Aber egal, ob das Dragonereal nun in privater Hand bleibt oder doch von Berlin zum Verkehrswert von 18 Millionen Euro gekauft wird, Stadtentwicklungssenator Geisel schob letzten Dienstag jeglicher Spekulation einen Riegel vor.

Kraft seines Amtes erklärte Geisel das Dragoneranreal (4,7 Hektar) für die nächsten zehn Jahre zum Stadtsanierungsgebiet.

Das bedeutet: Von den etwa 400 möglichen Wohnungen, die im Dragoner-Areal gebaut werden könnten, müssen 200 Wohnungen (also die Hälfte) Sozialwohnungen sein.

Um auch gleich  vollendete Tatsachen zu schaffen, beginnt der Senat sofort mit öffentlichen Baumaßnahmen auf dem Baugelände. Geisel baut für 38 Millionen Euro bis 2026 unter anderem eine neue Kita, eine Jugendfreizeitstätte, Spielplätze und baut die von starkem Verkehr belasteten Straßen um.

Geld soll es auch für die Sanierung der Salomon-Grundschule geben, die zwar nicht in dem Gebiet selbst, sondern südlich am Viktoriapark liegt, aber die zuständige Schule für die dortigen Kinder ist. Geisels Ziel: „Es geht nicht allein um Wohnungsbau, sondern um eine ganzheitliche Stärkung.“ Im Norden des Gebiets sollen Handwerk und Handel angesiedelt werden. Für die Förderung von Sozialwohnungen stellt Berlin bis zu 14,4 Millionen zur Verfügung.

Geisel forderte vorige Woche außerdem das Bundesfinanzministerium auf, den Vertrag mit dem Investor rückgängig zu machen. Danach hätte das Land Berlin das erste Zugriffsrecht.

Auf Vertragsauflösung drängt auch die Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Ihre Miet-Expertin Katrin Schmidberger erinnerte außerdem daran, dass ihre Partei und Kiez-Initia­tiven schon länger gefordert hätten, aus dem Gelände ein Sanierungsgebiet zu machen und sich somit entscheidende Gestaltungsmacht zu sichern.

B.Z.-Kolumnist Gunnar Schupelius spricht dagegen von geplanter Misswirtschaft: „Hinter der groben Art, wie man mit den Eigentümern umgeht, steht eine abgrundtiefe Aversion gegen private Unternehmer, die in Kreuzberg zum Kult gehört. Senator Geisel weicht vor dieser Stimmung zurück. Er will auf 36 Millionen Euro Verkaufserlös verzichten und seinerseits 38 Millionen Euro investieren. 74 Millionen Euro sind es also insgesamt, die nun der Steuerzahler aufbringen soll, damit zwei Unternehmer aus Wien nicht zum Zuge kommen. Was soll man dazu sagen? Das ist mehr als geplante Misswirtschaft.“

Das Bündnis „Stadt von Unten“ erklärte bereits vor zwei Jahren zum damals bevorstehenden Verkauf des Dragoner-Areals der Berliner Zeitung: „Es kann nicht angehen, dass die wenigen verbleibenden, noch in öffentlicher Hand befindlichen Grundstücke nun mit einer Art politisch-kultureller Mischkalkulation vergeben werden“. Auf bundeseigenen und landeseigenen Grundstücken müssten zu 100 Prozent bezahlbare Wohn- und Arbeitsflächen entstehen.

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