Bombenanschlag auf Asylantentreff in Jüterbog

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Am Samstagmittag um 12.30 Uhr sprach Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter zu 100 Bürgern, die sich vor dem evangelischen Asyltreff Turmstube (das Haus mit heruntergelassenen Jalousin) versammelten, weil dort in der Nacht zuvor um 22:27 Uhr eine Feuerwerksbombe explodiert war und die Inneneinrichtung verwüstete. Der Staatsschutz geht von einem politisch motivierten Anschlag aus. (Presseerklärungs-Foto der Stadt Jüterbog)
Am Samstagmittag um 12.30 Uhr sprach Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter zu 100 Bürgern, die sich vor dem evangelischen Asyltreff Turmstube (das Haus mit heruntergelassenen Jalousien) versammelten, weil dort in der Nacht zuvor um 22:27 Uhr eine Feuerwerksbombe explodiert war und die Inneneinrichtung verwüstete. Der Staatsschutz geht von einem politisch motivierten Anschlag aus. (Presseerklärungs-Foto der Stadt Jüterbog)

Freitagabend in Jüterbog (12.131 Einwohner, Landkreis Teltow-Fläming): Eine Stunde nach dem Ende einer Anti-Asyl-Demo mit 200 Mitgliedern und einer Pro-Asyl-Demo mit 500 Mitgliedern gab es um 22:27 Uhr im denkmalgeschützten, letzten erhaltenen Torwächterhaus aus dem Mittelalter in der Mönchenstraße 1 einen lauten Knall, dann splitterten die Fenster, Sofa, Tische, Stühle zerborsteten, die Decke kam herunter.

In der dortigen „Turmstube“, den die evangelische Gemeinde Sankt Nicolai als Treff mit Asylanten eingerichtet hat, hat es einen Anschlag gegeben. Es wurde eine Bombe aus Böllern und Pyrotechnik gezündet. Vermutlich steckt hinter der Tat ein rechtsradikales Motiv. Der Staatsschutz ermittelt, hat auch schon eine konkrete Spur, aber noch keinen Täter.

Der Sachschaden belaufe sich auf etwa 2.500 Euro, hieß es. Nach Angaben der Polizei wurde niemand verletzt, weil zum Zeitpunkt der Detonation keine Personen im Gebäude waren.

Das kleine, einstöckige Haus in der mittelalterlichen Hauptstadt des Fläming lehnt sich direkt an die historische Stadtmauer und den mächtigen Wehrturm am Dammtor. Über dem Eingang steht noch der Sternsingerspruch vom vergangenen Christfest: „Christus, schütze dieses Haus.“

Die Kirchengemeinde Sankt Nicolai geht von einer gezielten Einschüchterungsaktion aus.

In der Begegnungsstätte in Jüterbog bietet die Kirchengemeinde  wöchentlich Treffen mit Flüchtlingen an. In den Räumen versammelt sich normalerweise die „Junge Gemeinde“ der Stadt. Am Wochenende finden dort Deutschkurse und Begegnungstreffen für Flüchtlinge statt.

Die Turmstube im letzten erhaltenen mittelalterlichen Torwächterhaus der Stadt Jüterbog in Teltow-Fläming wurde von der evangelischen Gemeinde Sankt Nicolai als Begegnungsstätte mit Asylanten genutzt. Freitag um 22:27 Uhr zerstörte eine Böller-Bombe die Inneneinrichtung, Fensterscheiben und die Zimmerdecke. (Foto: Wikipedia Clemensfranz - Eigenwerk)
Die Turmstube im letzten erhaltenen mittelalterlichen Torwächterhaus der Stadt Jüterbog in Teltow-Fläming wurde von der evangelischen Gemeinde Sankt Nicolai als Begegnungsstätte mit Asylanten genutzt. Freitag um 22:27 Uhr zerstörte eine Böller-Bombe die Inneneinrichtung, Fensterscheiben und die Zimmerdecke. (Foto: Wikipedia Clemensfranz – Eigenwerk)

Unter dem Stichwort „Weltkaffe“ gab es Freizeit- und Kontaktangebote. Pfarrerin Mechthild Falk betreut das Angebot der Evangelischen Gemeinde.

Noch am frühen Freitag-Vormittag, bevor der Anschlag bekannt wurde, häkelten 50 Frauen öffentlich vorm Rathaus Decken für Flüchtlingskinder. In der Adventszeit ist ein „Weihnachtsmarkt der Begegnung“ geplant.

Wenige Stunden vor dem Angriff waren unter dem Motto „Nein zum Asylwahn, Ja zu Jüterbog“ rund 200 Anhänger der rechtsextremen NPD vom Jüterboger Bahnhof zum Marktplatz durch die Stadt gezogen. Die Veranstaltung war als „Abendspaziergang“ deklariert.

Sie zündeten Fackeln an und propagierten rechtsradikale Parolen. Man sprach auch davon, das „System stürzen“ zu wollen. Angemeldet hatte die Demo der 28-jährige Nauener NPD-Stadtverordnete Maik Schneider.

Im Stadtkern erwarteten sie rund 500 Menschen auf dem Marktplatz. Dort war die Gegendemonstration „Jüterbog – Wir lassen uns nicht ausspielen“ vom 31jährigen Erik Stohn in Kooperation mit dem Verein Jute Bürger, der Flüchtlingshilfe Jüterbog und der Evangelischen Kirchengemeinde angemeldet.

Um 21:15 Uhr gingen alle Bürger friedlich auseinander. Eine Stunde später dann die Explosion im Asylantentreff.

Am Tag danach, am Samstag, ludt die Kirchengemeinde vor der Turmstube für 12.30 Uhr zu einem spontanen Treffen ein. 100 Jüterboger kamen. Auch Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter und der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, Markus Dröge.

Mit einem Posaunenchor sang man gemeinsam „Gib Frieden, Herr, gib Frieden, die Welt nimmt schlimmen Lauf.“

Innenminister Schröter sagte: „Diejenigen, die vorgeben, das christliche Abendland zu verteidigen, aber zugleich Anschläge auf kirchliche Einrichtungen verüben, haben die letzte Maske fallen lassen.“ Und: „Wir sind stolz darauf, dass Sie sich hier für Flüchtlinge einsetzen.“

Bischof Dröge sagte, der Anschlag sei nicht nur ein Angriff auf die Kirche, sondern auf „unser ganzes Gemeinwesen“. Menschenverachtung fange „mit der Wortwahl“ an. „Wenn manche Politiker jetzt Flüchtlinge pauschal verunglimpfen und verächtlich machen, schürt das solche Gewalt.“

Der parteilose Bürgermeister Jüterbogs, Arne Raue, fehlte bei der Solidaritätsveranstaltung, weil er zu einer privaten Beerdigung war.

Arne Raue, parteiloser Bürgermeister von Jüterbog im Landkreis Teltow-Fläming. (Foto: Jüterbog.eu)
Arne Raue, parteiloser Bürgermeister von Jüterbog im Landkreis Teltow-Fläming. (Foto: Jüterbog.eu)

Raue erregte vor zwei Wochen bundesweit Aufsehen, weil er auf der Website der Stadt Panikmache gegen Flüchtlinge betrieb. Er warnte die Bürger „selbst vor geringfügigen Kontakten“ zu Flüchtlingen, weil diese Infektionskrankheiten, etwa Tuberkulose, übertragen würden, „gegen die es leider keine wirksame Impfung gibt“.

Dabei bezog er sich auf angebliche schriftliche Äußerungen einer im städtischen Auftrag beschäftigten Ärztin.

Jüterbogs Bürgermeister warnt seit dem 3. November 2015 auf der offiziellen Website der Stadt im Landkreis Teltow-Fläming, der 2.000 Flüchtlinge aufnehmen soll, vor Infektionskrankheiten "schon bei geringfügigem Kontakt mit Neuankömmlingen". (Ausriss Jüterbog.eu)
Jüterbogs Bürgermeister warnt seit dem 3. November 2015 auf der offiziellen Website der Stadt im Landkreis Teltow-Fläming, der 2.000 Flüchtlinge aufnehmen soll, vor Infektionskrankheiten „schon bei geringfügigem Kontakt mit Neuankömmlingen“. (Ausriss Jüterbog.eu)

Das Potsdamer Gesundheitsministerium wies die Behauptung sofort entschieden zurück. Und inzwischen stellte sich heraus, dass Raue diese Warnung offenbar selbst verfasst hat. Den zitierten Brief der Medizinerin hat er trotz mehrfacher Aufforderungen bisher nicht vorgelegt.

Dennoch steht seine Warnung bis heute auf der städtischen Website. SPD und Linke versuchten vor einigen Tagen im Stadtparlament, die Löschung per Antrag zu veranlassen, aber sie scheiterten. Nur acht von insgesamt 22 Stadtverordneten, die mehrheitlich freien Wählerinitiativen angehören, unterstützten ihre Initiative.

Gestern veröffentlichte der Bürgermeister folgende Presseerklärung zu der Explosion in der evangelischen Begegnungsstätte „Turmstube“:

Ich bin zutiefst erschüttert und hoffe, dass die Tat schnellstmöglich aufgeklärt werden kann. Ich wünsche mir, dass wir Jüterboger nun noch näher zusammenrücken und wieder Frieden in unsere soziale Gemeinschaft einkehren wird.

Gleich am Samstag Vormittag habe ich mir ein Bild vor Ort von den Zerstörungen in der Turmstube machen können.

Leider konnte ich nicht an der Andacht teilnehmen. Zu gleicher Zeit war ich war ich privat zu einer Beerdigung. Es hat mich jedoch sehr berührt und ich freue mich, dass so viele Jüterboger Anteil genommen und Zusammenhalt signalisiert haben- ein tolles Zeichen des Miteinanders.

Auch danke ich dem Innenminister und dem Bischof für ihr Kommen und dass sie unserer Stadt, unseren Bürgern und der Kirchengemeinde und der Initiative Flüchtlingshilfe Mut und Unterstützung zugesprochen haben.

Ich möchte der Kirchengemeinde ebenfalls meine Unterstützung zusagen und werde den Bauhof der Stadt für Hilfe bei den Aufräum- und Reparaturarbeiten zur Verfügung stellen.

Arne Raue

Bürgermeister der Stadt Jüterbog

Inzwischen hat ein Jüterboger Geschäftsmann bereits Räume zur Nutzung für die Evangelische Kirche angeboten.

Die Polizei sucht nun dringend nach Hinweisen zu möglichen Tätern. Hinweise nimmt die Polizeiinspektion Teltow-Fläming unter der Telefonnummer 03371-6000 entgegen.

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9 KOMMENTARE

  1. Wenn noch kein Täter bekannt ist, sollte man auch nicht alles gleich auf die Rechten schieben ! Wie oft kam es vor, dass Asylanten selbst die Unterkunft zerstört haben, weil die was besseres wollen ?! Also erstmal die Ermittlungen abwarten und dann wissen wir auch nicht, ob Medien uns die Wahrheit sagen !

  2. Fuchtbar und die Kommentare dazu. Armes Jüterbog! Die Guten sind wohl alle gegangen und der rechte Mob ist geblieben und übt sich im Terror.

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