Prignitzbus: Rohlsdorfer müssen 8 km bis zur Haltestelle laufen

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Seit 1. August 2016 ist die Bushaltestelle im Prignitz-Dorf Rohlsdorf verwaist. Die Bewohner müssen nun 8 Kilometer bis zu einer Haltestelle laufen (Foto: mapio.net/Arne Schumacher)
Seit 1. August 2016 ist die Bushaltestelle im Prignitz-Dorf Rohlsdorf verwaist. Die Bewohner müssen nun 8 Kilometer bis zu einer Haltestelle laufen (Foto: mapio.net/Arne Schumacher)

In Berlin liegen die Bushaltestellen im Durschnitt 480 Meter auseinander. In der Prignitz im Land Brandenburg gibt es in Dörfern unter 150 Einwohnern gar keine Haltestelle mehr. Seit dem 1. August 2016 hat die ARGE Prignitzbus mit Sitz in Perleberg das Busgeschäft nach einer europaweiten Ausschreibung im Landkreis Prignitz übernommen und den alten Busfahrplan so stark ausgedünnt, dass in Orten unter 150 Einwohnern nicht mal ein Rufbus bestellt werden kann. Nun herrscht vielerorts Busnotstand.

Besonders hart trifft es die Einwohner von Rohlsdorf. Sie müssen nun 8 Kilometer bis zur nächsten Haltestelle zu Fuß laufen. Und das auch noch an der vielbefahrenen Bundesstraße 189 entlang, die am Dorf vorbei zum nächsten Bahnhof führt. Die Dorfbewohner sollen bitteschön den Zug benutzen, heißt es. Schließlich verläuft parallel zur B 189 eine Bahnstrecke des RE6 von Pritzwalk nach Perleberg und weiter nach Wittenberge. Allerdings hat Prignitzbus dabei etwas Entscheidendes übersehen. Der Haken an der Sache ist: Der Haltepunkt hinterm Dorf wurde nach der Wende geschlossen. So ist der nächste Bahnhof acht Kilometer entfernt.

„Der Landkreis bezeichnet es als ’sehr gut‘, was da fabriziert worden ist. Das ärgert mich sehr. Das ist absolut nicht gut – das ist ein Schildbürger-Streich“, sagte eine Rohlsdorferin dem RBB-Reporter Friedrich Herkt. Ein älterer Dorfbewohner ergänzte: „Das sind richtige Dummheiten. So muss man das sagen. Oder: Leute-Verdummung. Ich weiß nicht, wie das gehen soll.“

Nicht mal der Schulbus fährt das Dorf mehr einmal morgens und einmal abends in der Woche an, es sind ja Ferien. So haben die Rohlsdorfer gar keinen öffentlichen Nahverkehr mehr. „Erst legen sie den Bahn-Haltepunkt still, jetzt folgen auch noch die Busse. Eine anständige Internetverbindung gibt es auch nicht!“, zählte der Ortsbürgermeister auf.

Die neue Busgesellschaft „Prignitzbus“ zeigt sich machtlos. „Konkret kann man da im Moment nur sagen: Jetzt kurzfristig Taxi nehmen, zu Schulzeiten dann den Schülerbus. Ansonsten auch Mitfahrgelegenheiten im Dorf. Und dann muss man sehen“, sagte der Sprecher Christian Klöden.

Eine ältere Bewohnerin machte sich deutlich Luft: „Ich muß regelmäßig zur ärtzlichen Behandlung nach Perleberg – soll ich da jedesmal mit einem Taxi fahren? Das erhöht die Kosten doch noch mehr! Und wem ich die Schuld dafür gebe? Dem Landkreis und dem Landrat selbst!“ Im Ort leben insgesamt 13 Leute über 80 Jahre – denen gehe es genauso.

„Sie büßen ein Stück Freiheit ein. Sie müssen jetzt andere bitten, sie mitzunehmen“, sagte der ortsansässige Manfred Schwämmlein der Märkischen Allgemeinen Zeitung. „Der Bus muss nicht jede Stunde fahren, aber an einigen Tagen.“ Auch zehn Asylbewerber sitzen jetzt in Rohlsdorf fest. Für sie gibt es keine Sprachkurse, keine Kita und keine Einkaufsmöglichkeit mehr. „Sie können hier nicht mehr bleiben“, sagte Betreuer Peter Jeske. Auch die Bewohner des nahen Sozialtherapeuthischen Heims in Klein Linde sind abgeschnitten. „Kleinen Orten wird die Zukunft genommen“, sagte Anwohnerin Yvonne Heimann.

Annett Röhl, Gemeindevertreterin, sagte der Pritzwalker Stadtzeitung: „Wie soll man denn weiter dafür werben, dass junge Leute in die ländlichen Gegenden ziehen, Häuser bauen und eine Familie gründen, wenn nicht einmal die Grundlagen der Mobilität garantiert werden können?“. Der neu gewählte Groß Pankower Bürgermeister Marco Radloff, zu dessen Gemeinde Rohlsdorf zählt, erinnerte an die Pflicht von Bund und Land eine wenigstens formale Gleichberechtigung der Landbevölkerung finanziell zu unterstützen.

Edelgard Schimko, Sachbereichsleiterin Wirtschaft beim Landkreis, zu dem auch der ÖPNV, also der Öffentliche Personennahverkehr, gehört, betonte gegenüber dem Prignitzer, dass sie Verständnis für die Kritik Einzelner an dem neuen Fahrplansystem habe. „Man muss aber den Ausgangspunkt für die Umgestaltung kennen. Denn der Bedarf war auf einigen Rufbusstrecken einfach nicht da. Wir müssen auch an die Wirtschaftlichkeit denken.“ Edelgard Schimko verweist auf Zählungen, nach denen teilweise nur eine bis zwei Fahrten auf einer Linie erfolgt wären. „Die Rufbusse wurden stellenweise kaum genutzt. Das frühere Angebot können wir so nicht mehr vorhalten“, erklärt Schimko.

Grund dafür sei ein Gerichtsurteil zu sogenannten Gelegenheitsfahrten. Der Fall spielte zwar nicht in der Prignitz, hatte aber auch Auswirkungen auf die hiesige Fahrplanstruktur. „Ein Taxifahrer hatte geklagt, weil er die einzelnen Rufbusfahrten als staatliche Konkurrenz zu den Privatunternehmen sah. Er bekam Recht.“ Seitdem dürfen Rufbusse nur noch dort fahren, wo es auch eine Buslinie gibt, Abweichungen sind ausgeschlossen. „Das zwang uns zum Handeln. Wollten wir überall einen Rufbus haben, müssten wir alle Orte an eine jeweilige Buslinie anbinden. Und das geht finanziell nicht.“

Die Rohlsdorfer an der Bundesstraße wollen sich mit der neuen Situation nicht abfinden. Sie werden weiter für ihren Linienbus kämpfen – und hoffen auf den nächsten Fahrplanwechsel. Der steht im Dezember 2016 an.

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9 KOMMENTARE

  1. Bischen besser recherchieren, ich komme aus der Ecke. Die Bahnstrecke verläuft nicht von Neustadt/Dosse nach Meyenburg sondern von Pritzwalk nach Perleberg und weiter nach Wittenberge.

    • Hallo Herr Sonnenberg, danke für Ihren Hinweis. Wir haben das im Artikel geändert. Der Bahnhof Brügge (Prign) in der weiteren Umgebung von Rohlsdorf liegt an der Bahnstrecke Neustadt (Dosse)–Meyenburg. Beste Grüße Bodo Hering, Chefredakteur

    • Das stimmt, da wohnt meine Schwester. Früher war mal in Rohlsdorf ein Haltepunkt, auch mit Personal besetzt, nach dem Ausbau der Strecke von Berlin über Neuruppin, Wittstock/Dosse, Pritzwalk nach Wittenberge wurde etliche kleine Bahnhöfe einfach wegrationalisiert. War von 1971 bis 1989 bei der DR dort oben beschäftigt.

  2. Rufbusse darf es also nur dort geben, wo es Buslinien gibt? Ist das nicht irgendwie am eigentlichen Sinn vorbei gedacht?

    Aribert: Sie wollen also alten Leuten wirklich zumuten, 8 km zur nächsten Haltestelle zu laufen um zum Arzt zu kommen?

  3. Ich lese diesen Artikel leider jetzt erst in Ihrer Zeitung… zur Klarstellung und zu den Kommentaren der Herren Sonnenberg und Hering:
    Lieber Herr Sonnenberg, es war schon richtig, wie es im Artikel stand – es betrifft die Bahnlinie Pritzwalk – Perleberg. Es ist das Rohlsdorf in der Gemeinde Groß Pankow gemeint und nicht das Rohlsdorf im Amt Meyenburg. Denn im Amt Meyenburg gibt es B 189 nicht und auch der RBB war nicht da! Und ich weiß es, weil ich die Elterninitiative Busfahrplan bin! Also nächstes Mal genauer lesen und Herr Hering, nicht gleich alles ändern. Was geändert werden muss, ist das Foto! Das ist das falsche Rohlsdorf! Soviel dazu!

    Ansonsten ist das jetzige System einfach an der Bevölkerung vorbei geplant worden und vor allem von Leuten, die nie auf den Bus angewiesen waren oder sind! Es wurden Fehler gemacht, aber keiner will sie gemacht haben. Anstatt vorher auf den Protest der Betroffenen zu hören, soll jetzt nachgebessert werden. Geld, das man auch sinnvoller hätte einsetzen können! Schade! Unsere Flüchtlinge wurden mittlerweile alle in neue Unterkünfte vermittelt – in Orte, wo Busverkehr täglich vorherrscht und Schulen etc alles im Ort sind. Bei uns Einheimischen geht das ja nicht, wir müssen ausharren und sehen, was da kommt. Solange müssen wir auf die Nächstenliebe unserer Nachbarn hoffen oder für Taxifahrten in die nächste Stadt die teuren Taxipreise zahlen. Und das nennt man dann Daseinsvorsorge. Na vielen Dank!

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