Nach London nun Berlin: Wohnzimmer-Sexpartys auf Crystal Meth

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Ein zerstörerischer Trend schwappt aus London in Berliner Wohnzimmer: Sexparties auf Drogen, vorzugsweise Crystal Meth (Screenshot aus dem Film Double Down auf pornhub.dom)
Ein zerstörerischer Trend schwappt aus London in Berliner Wohnzimmer: Sexpartys auf Drogen, vorzugsweise Crystal Meth (Screenshot aus dem Film Double Down auf pornhub.dom)

Ein selbstzerstörerischer Trend hat die Berliner Spaßgesellschaft erreicht. Sexpartys auf Drogen. Vornehmlich unter Schwulen. Nicht etwa in Darkrooms von bizarren Nachtklubs. Die sogenannten Chemsexpartys haben Einzug in Berlins Wohnzimmer gehalten. Eingeladen wird über Chatportale im Internet wie etwa Grindr, Scruff oder Gayromeo. Die Gastgeber stellen das ganze Wochenende ihre Wohnungen zur Verfügung.

Und immer mit dabei Crystal Meth.

Die Droge macht laut einem Bericht von Ferry House Menschen zu wilden Tieren. Stefan Hochgesand vom Berliner Stadtmagazin Zitty war auf einer solchen Party in Neukölln und hat sich in der Szene umgesehen. Sein Fazit: „Die privaten Chem-Partys gibt es in Schöneberg, Kreuzberg, Neukölln. Im Grunde aber überall. Etwas verstärkt in Mitte. Dort sind die Chancen wohl am höchsten, Gäste digital anzuködern. Manche kommen nur, wenn vor Ort Meth gesponsert wird. Andere verballern 200 Euro am Wochenende. Ein Gramm Methamphetamin kostet in Berlin etwa 80 Euro. Wenn die Wirkung nachlässt, wird nachgelegt.“

Die Partydroge Methylamphetamin, die wohl besser unter dem Namen Crystal Meth bekannt ist, wirkt stark euphorisierend und macht geil. Konsumenten berichten, dass jedes Küssen, jede noch so kleine Berührung um ein Vielfaches verstärkt würde, von einer Sekunde auf die andere.

Andreas von Hillner, Suchttherapeut der Berliner Schwulenberatung, weiß aus seinen Beratungs- und Therapiegesprächen was die meisten reizt, „die fatale Mischung aus extremem Glücksgefühl und der Erregung wie bei Angst, ohne dass man wirklich Angst haben müsste. Die Enthemmung per Spritze passt wunderbar zu grenzenlosem Sex in tagelangen Exzessen.“ Manche konsumieren wöchentlich, andere nur alle paar Wochen, manche nur zwei Mal im Jahr.

„Mit dem Sich-Einlassen auf gemeinsame Sex-Partys entsteht vordergründig etwas wie Nähe und Verbundenheit“, erklärt von Hillner. „Man verschmilzt miteinander. Viele benutzen dann auch dieselbe Spritze, was HIV und Hepatitis C den Vorschub leistet.“ Hier könnte eine Erklärung liegen für die steigende Zahl der HIV-Neudiagnosen in Berlin bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM).

Das Robert-Koch-Institut verzeichnete bei solchen Männern im Jahr 2013 so gut wie jeden Tag eine neue HIV-Infektion. 2014 gab es einen leichten Rückgang an HIV-Neuzugängen bei MSM – 292 erkrankte Männer im Jahr. Ein immer noch außergewöhlich hohes Niveau an Neuzugängen. Im Drogenwahn verzichten viele auf das Benutzen eines Kondoms.

Methamphetamin wurde 1893 erstmals synthetisiert, später von den Nazis zum Aufputschen ihrer Truppen benutzt. In den USA bekommen es Kinder zur Behandlung ihres Aufmerksamkeits-Defizits. Die Wirkung einer Dosis kann bis zu 36 Stunden anhalten.

Die Nebenwirkungen sind allerdings verheerend: Die Droge schwächt das Immunsystem und kann zu Herzrhythmusstörungen, Nierenschäden und Paranoia führen. „Crystal wird in der Regel durch die Nase geschnupft, geraucht oder inhaliert“, erläutert Gabriele Bartsch von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in Hamm. „Es kann aber auch mit Spritzen injiziert werden, was die Gefahr von Infektionen mit sich bringt, wie wir sie bei Heroinsüchtigen kennen.“

Sexpartys mit Crystal Meth: Code-Name T oder Tina

Seit drei, vier Jahren sind nach Recherchen des Berliner Stadtmagazins Zitty die privaten Chem-Sex-Partys mächtig angesagt bei Männern, die Sex mit Männern haben. In Dating-Profilen taucht der Wunsch danach plötzlich immer uncodierter, offensiver auf.

Wer auf Dating-Plattformen wie Grindr, Scruff oder Gayromeo signalisieren will, dass er für Crystal Meth zu haben ist, schreibt einfach ein großes T, wo es sonst nicht hingehört. „LongTime“ heißt kristallklar: Ich will lange ficken, und ich will es auf Crystal Meth. Wer sich oder anderen die Droge per Nadel in die Vene jagen will, schreibt „G2TP“. Get to the point. Immer öfter liest man auch schlicht: „chem friendly“. Im Darknet, dem dunklen Untergrund des Internets, kann man sich schon lange gezielt zum Drogensex verabreden. Aber mittlerweise geht vieles ganz offen über die legalen Dating-Apps und -Seiten. Auch Pornovideos mit Drogeninjektionen sind frei im Netz erklickbar.

Wegen der Chem-Sexpartys kommen viele nach Berlin

Berlin ist laut Zitty das kontinentale Epizentrum dieses Trends. Nur in London greife der Chem-Sex-Trend noch weiter um sich als hier.

„Viele kommen überhaupt nur nach Berlin, um auf Chem-Partys zu gehen“, erzählt Tobias, 25, dem Stadtmagazin. Seit er 18 ist, geht er in Sexclubs, vor einem Jahr entdeckte er die privaten Drogen-Sex-Sessions für sich. „Du musst nur schreiben: Ich hab das und das da. Schon kommen die Leute.“ Man sollte aber wirklich, findet er, ein ganzes Wochenende frei haben. „Der Kopf muss frei sein, um zu fliegen.“ Überhaupt hat sich Tobias strenge Regeln aufgestellt: Er bringt seine Drogen selbst mit, nimmt höchstens was von Leuten an, die er kennt. Zwischendurch isst er Kekse und Bananen, um nicht zu unterzuckern. Hinterher schluckt er Calcium, Magnesium und führt brav Drogen-Sex-Tagebuch. „Ich nehme nicht erst Drogen und entspanne dann mit Sex“, sagt er, „sondern ich verabrede mich mit Leuten, die ich gut finde, und habe dann die Option auf Drogen.“ Man halte mehr aus, könne sich auf Ketamin aber länger rannehmen lassen. Ketamin ist ein Narkosemittel in der Medizin, das allerdings zusammen mit Alkohol eingenommen zu einem lebensbedrohlichen Atemstillstand führen kann. Für Aktive empfehle er Crystal Meth: „Das macht klar und triebgesteuert.“ Bisher habe er mit Drogen-Sex nur gute Erfahrungen gemacht. Und doch fängt er immer öfter an, zu vergleichen, wenn er drogenlos fickt: „Wie wäre der Sex jetzt, wenn ich doch was nehmen könnte?“

Klar gibt es nach wie vor die kommerziellen Dark­rooms, viele um die Motzstraße herum. Dort und auch in schwulen Sexclubs wie dem Lab.Oratory im Berghain-Keller werden Drogen halbvorsichtig auf den Toiletten injiziert. Bei der privaten Party geht das vor aller Augen auf der Couch.

Drogenaffine Menschen sprechen vom Setting, der Umgebung, und dem Set, der inneren Stimmung. Bei privaten Sessions ist die Stimmung wesentlich intimer, sagen einige. Viele kommerzielle Darkrooms schließen obendrein irgendwann morgens. Im Wohnzimmer kann es weiter gehen, bis die Sonne zwei Mal auf- und wieder untergegangen ist.

Eine Crystal-Sex-Welle?

Die Berliner Polizei gibt sich wortkarg. Auf Anfrage von ZITTY sagte ihr Sprecher Stefan Redlich lediglich: „Der Polizei Berlin liegen keine Statistiken vor, aus denen Drogenfunde oder Razzien mit den von Ihnen genannten Partys in Verbindung gebracht werden könnten.“ Mehr zu sagen wusste Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité. Sie will zwar noch nicht von einer Epidemie sprechen; und von den Dimensionen an der amerikanischen Ostküste sei Berlin auch noch entfernt – gleichwohl: Sie beobachtet seit vielen Jahren einen Anstieg von Crystal-Abhängigen in der Notaufnahme und in der Therapie. Und: Ja, da gebe es sie, die Leute, die davon erzählen, dass sie gerade noch im Berghain oder anderen Darkrooms waren.

Der Drogen- und Suchtbericht 2015 der Bundesregierung verweist im Zusammenhang mit Crystal Meth auf die „Meth-Studie“ des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg. Die Befragten waren zwischen 15 und 63, darunter zwei Dutzend Männer aus Berlin, die sich einer schwulen Sexparty-Szene zuordneten. Die „Teilnehmer gaben dabei nicht selten an, sozial gut eingebunden zu sein und akademische Berufe auszuüben“, heißt es im Bericht. Als Motive nannten die Männer: „Neugierde, Angebot mitzukonsumieren“, „keine Ahnung von Gefahren“, „Luststeigerung und Reiz des Verbotenen“.

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23 KOMMENTARE

  1. Pimmel Party mit politischer Beteiligung.Wenn die wüßten , wie hart der Entzug wird , falls sie nicht darauf hängen bleiben.Einige lernen bald, was es heißt die Hölle im Kopf zu haben.

  2. Crystal Meth ruiniert Körper und Geist. Wenn der Trip vorüber ist, können Depressionen auftreten.
    Mögliche Spätfolgen sind neben Zahnausfall epileptische Anfälle, Hirnblutungen und Herzversagen. Manchmal dauert der Verfall nur zwei, drei Jahre. Doch wer denkt schon an Verfall, wenn der Rausch einsetzt, nur Minuten nach der Einnahme.

  3. Eure Krankenkassenbeitraege federn nicht nur die Krankheiten der ganzen Welt ab.
    Auch die sexuell Perversen geniessen euer rekonvaleszierendes Ruhekissen.

    Nur – schminkt euch euren Zahnersatz ab!

  4. Einer der ausführlichsten und besten Berichte zu diesem Thema das ich bisher las! Klasse

  5. Was im Bundestag bereits hoffähig, siehe Beck, warum denn so eine scheiss Droge nicht überall, sollen ja schon deutsche Panzerfahrer im Weltkrieg erhalten haben. Abgrundtief dämlich, so eine Drohe zu nehmen, wenn man mal ünerhaupt von einer Einteilung der vorhanden legalen und illegalen Drogen sprechen kann. Cristal iss wohl noch bescheuerter als Klebstoff aus ner Plastiktüte

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