Hennigsdorf feiert härter als Kreuzberg

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Das Feuerwerk über dem Postplatz in Hennigsdorf (Foto: Joseph Braun)
Das Feuerwerk über dem Postplatz in Hennigsdorf (Foto: Joseph Braun)

Kreuzberger Nächte sind bekanntlich lang und schön. Hennigsdorfer Nächte dagegen sind auch lang, aber lauter und härter.

Das liegt daran, dass in Hennigsdorf vor den Toren der Stadt gleich hinter Berlin Heiligensee seit Jahrzehnten der Stahl gekocht wird und schwere Eisenbahnloks (früher LEW Elektrotechnische Werke Hans Beimler, heute Bombardier) gebaut werden.

Die einstige Kneipe vor dem ehemaligen Stahl- und Walzwerk Wilhelm Florin (heute Rivastahl, Italien) hieß nicht umsonst Schwemme, weil der Durst der Kumpel so groß war, wenn sie nach Schichtende aus den Werkstoren strömten. Nach jedem Stahl-Abstich am Hochofen konnten die Männer und Frauen den Staub auf ihren Pausenbroten schmecken.

Das macht hart, aber auch herzlich. Man hält zusammen. Das spiegelt sich auch beim Feiern wieder. Vor 19 Jahren kreiierte man ein Stadtfest, das wohl in seiner Härte und zugleich Gemütlichkeit in Berlin und Brandenburg seinesgleichen sucht. Die Party ist so intensiv, das sie  nur einmal im Jahr gefeiert wird: immer am letzten Wochenende (Freitag bis Sonntag) eines jeden Jahres im August.

Der Name klingt zunächst harmlos: Hennigsdorfer Festmeile. Doch diese Meile muss man sich wie einen umgestürzten Doppel-T-Stahlträger vorstellen, was den Besucher in Bewegung hält und schnell zu vielen Wechselbädern an Musik, Sport und Kulinesse führt.

Erster Endpunkt ist der Postplatz am Hennigsdorfer Bahnhof, an dem auch die Regionalbahn aus Berlin und die S-Bahn der Linie 25 hält. Hier gibt es Hardrock pur. Von Live-Künstlern, die beispielsweise AC&DC oder Led Zeppelin perfekt imitieren. Diesmal wurden die Zuhörer in die 1970er und 1980er Jahr nach Houston in Texas zurückversetzt. Zwei Stunden lang rockten sich die OBBREZZ mit langen Bärten durch die Bandgeschichte von ZZ Top (Gimme All Your Lovin).

Am anderen Ende des gedachten umgestürzten T-Trägers befindet sich der Havelplatz. Hier gibt es jedes Mal das Kontrastprogramm für Muttis und Träumer. Diesmal am Start war der livehaftige Ballermannstar Markus Becker mit seinem roten Cowboyhut und dem Megahit „Das rote Pferd“. Oder das Helene Fischer Double Barbara (ihre Stimme klingt wie das Original) mit „Atemlos durch die Nacht.“

Beide Endpunkte, der harte  Postplatz und der weiche Havelplatz, werden durch eine offene breite Fußgänger-Flaniermeile (die Havelpassage) mit Mittelstreifen verbunden, in der man bei sportlichen Attraktionen wie Freefall-Tower oder Schwimmen in begehbaren Wasserbällen gemütlich chillen und das Volk begaffen kann.

Das allein ist jedes Jahr eine Show. Es sind ja alle da, mit denen man über Generationen geliebt und gestritten hat. Der Trubel ist groß genug, dass man seiner Ex und deren Neuem nicht Guten Tag sagen muss. Und doch kann man neugierig die neuen Tattoos der Ex und der anderen Mädels bewundern, die dieses Jahr wieder freizügig zur Schau gestellt wurden.

Und dass Liebe durch den Magen geht, gilt auch in Hennigsdorf.

Die Preise sind volksnah klein: Ein zartes saftiges großes Steak vom Grill in einer frischen Schrippe gab es für 3.50 Euro. Ein Berliner Totenkopf Truck bot einen herrlich dickflüssigen Joghurt namens Mango-Lassi im pfandfreien Becher für 3 Euro an. Prompt fragte eine Kranführerin: „Was ist das denn für ein komischer gelber Pudding?“ und blieb lieber bei Chili con Carne (für 3 Euro den Teller), bei dem sie aber – vielleicht zu Recht – über ein Zuviel an Maggie meckerte.

Topthema auf dem Herrenklo war der Bierpreis.

Das Fassbier war in Hennigsdorf schon für 2,50 Euro (0,4 Liter) zu haben. Aber da man fürs Pinkeln 50 Cent zahlen musste (und man muss ja ständig), zahlte man am Ende doch mehr als bei einem Kreuzberger Straßenfest, wo das Bier 4 Euro kostet, aber man dafür umsonst pinkeln kann. So jedenfalls die Meinung einiger hitziger Diskutierer.

Umsonst in Hennigsdorf war zum Trost ein Wahnsinns-Höhenfeuerwerk (immer am letzten Freitag im August um 22 Uhr), bei dem Bürgermeister Andreas Schulz (SPD) scheinbar die Stadtkasse geplündert haben muss.

Und ebenso tröstlich für die Biertrinker-Fraktion war an den drei Tagen auch eine unglaubliche Vielfalt an Darbietungen und Unterhaltung.

Kinderattraktionen wie Riesenrad, von welchem man die ganze Meile erst richtig wahrnahm, oder Seiljumping, Schießbuden, Losstände lockten auch dieses Jahr unzählige Menschen aus der Umgebung nach Hennigsdorf.

Gefeiert wurden „6 Richtige“, eine Newcomer Swing Band, die in Hennigsdorf beliebt ist, oder auch die englische Smokie-Nachfolgeband Spirit of Smokie und die Berliner Country-Bands Hufnagel und Flyin‘ High. Auch die drei Jungs von Venterra kamen mit ihren deutschen Liebesliedern gut bei den Stahlwerker-Ladies an. Ebenso für die Samstags-Sommernachtsparty mit dem Falco-Double Patrick Simoner reisten eigens viele Fans aus Berlin und dem Umland an.

Orts-Vereine, Kitas, Schulen oder Firmen waren ins Programm integriert und gaben der Meile Volksfest-Feeling. Zum Beispiel veranstalteten Schüler des Puschkin Gymnasiums eine Müllmodenschau, auf der Harley-Davidson-Fahrer einen neuen, aber doch klassischen Look erhielten. Oder Mitglieder des Sportklubs Mrs. Sporty zeigten ihre Choreographie  in Form von Line Dance.

Diesmal nur Alkoholvergiftungen

Die Polizei lieferte an beiden Plätzen einen guten Job, weil dieses Jahr wenig Gewalt ausgebrochen ist – im Gegensatz zu den letzten Jahren. Allerdings waren auch dieses Mal wieder Alkoholvergiftungen an der Tagesordnung, so dass man öfter am Tag die Sirene des Notarztes in der Nähe des Postplatzes hören konnte.

Das stört aber nicht wirklich. Einer der Besucher berichtete, dass es schon sein 6. Jahr auf der Meile ist und es jedes Jahr wunderschön sei, seine Freunde oder Verwandten aus Vergangenheit oder Gegenwart wiederzusehen und in die Arme zu fallen. Das Stadtfest verbindet die Menschen in Hennigsdorf förmlich alle miteinander.

Die Oberhavel Verkehrsgesellschaft OVG bot den Feiernden Nachtbusse an, um ihnen den Weg nach Hause zu erleichtern.

Wer es also superhart und dennoch volkstümlich liebt, sollte sich die Hennigsdorfer Festmeile für das nächste Jahr in seinem Party-Kalender eintragen. Noch ist das letzte Wochenende im August für das Berliner Partyvolk ein Geheimtipp. Aber wenn nun mit diesem Bericht nicht mehr, keine Angst, dann bietet der umgekippte T-Stahlträger zwischen Postplatz und Havelplatz immer noch genug Platz für alle Besucher.

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3 KOMMENTARE

  1. Mann, mann, bei euch Landeiern auf der Hennigsdorfer Festmeile scheint es abzugehen. Vielleicht komme ich nächstes Jahr mal vorbei. Volkstümlich ist ganz mein Ding. 😉

  2. Hennigsdorfer Nächte sind lang, aber dann, aber dann… 😉

    Viel Spaß beim wilden Feiern an den Berliner Norden!!!

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