Schummeltechnik sorgt für Gift-Abgase bei Diesel-PKWs

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Der 40-Tonnen-Laster von Mercdes hält sich an die LKW-Norm von 250 Milligramm Stickoxide pro Kilometer. Die Mercedes Limousine C220 schleudert pro Kilometer 643 Milligramm giftige Stickstoffoxide in die Luft - achtmal soviel wie für PKWs erlaubt. (Foto: niederländisches Forschungsinstitut TNO)
Der 40-Tonnen-Laster von Mercedes hält sich an die LKW-Norm von 250 Milligramm Stickoxide pro Kilometer. Die Mercedes Limousine C220 schleudert pro Kilometer 643 Milligramm giftige Stickstoffoxide in die Luft – achtmal soviel, wie für PKWs erlaubt. (Foto: niederländisches Forschungsinstitut TNO)

Obwohl der Wissenschaftliche Dienst der Bundesrepublik in einem Gutachten festgestellt hat, dass eine Abschaltung oder Drosselung der Zugabe AdBlue bei Diesel-PKWs gesetzeswidrig ist, weil weniger AdBlue zu mehr Ausstoß an giftigen Stickoxiden führt, halten sich viele Autohersteller nicht daran. Der Katalysator spaltet normalerweise mit Hilfe von AdBlue (flüssigem Harnstoff) die Stickoxide in harmlosen Stickstoff und Wasser auf, bevor das Abgas den Auspuff verlässt.

Vermutet wird dahinger folgendes Kalkül: Autokäufer könnten abgeschreckt werden, wenn sie erfahren, dass sie ständig einen Zusatztank mit AdBlue füllen müssten. Das ist umständlich und daher unbeliebt. Für die Kundenfreundlichkeit und damit einen besseren Absatz der teuren Dieselfahrzeuge soll der Kunde am besten gar nichts von dem Zusatz AdBlue mitbekommen. Daher wird  die Zugabe von AdBlue einfach während der Fahrt gedrosselt und so die Zeit bis zur nächsten Intervall-Überprüfung in der Werkstatt überbrückt, bei der sich dann die Werkstatt und nicht der Kunde um die unliebsame Prozedur kümmern kann. Die Folge: die eigentlich sauberen Diesel-PKWs werden künstlich zu Dreckschleudern von giftigen Stickoxiden NOx  manipuliert.

Der Skandal: Für hohe Verkaufszahlen bei Dieselfahrzeugen nimmt man mutmaßlich in Kauf, dass die Menschen auf der Straße vergiftet werden.

Und das wurde jedenfalls bislang auch noch raffiniert verschleiert.

Damit die Sache bei Prüfern, die die Fahrzeuge auf Laufrollen überprüfen, nicht auffällt, sollen die Hersteller die Software so manipuliert haben, dass die Autos unter Prüfbedingungen genau die richtige Dosis AdBlue zuspritzen. Doch sobald die Autos wieder im Normalbetrieb auf der Straße sind, drosselt die Software-Steuerung die Zufuhr des Reinigers AdBlue.

Das wurde schon mal im Jahr 2003 aufgedeckt und nachgewiesen – aber nur bei LKWs.

2003 registrierte die Verkehrsbehörde des Bundesumweltamtes unter Leitung von Axel Friedrich viel zu hohe Werte für das giftige Stickstoffdioxid in der Atemluft. Der Verdacht damals: Die Lastwagen halten sich auf der Straße nicht an die Grenzwerte.

Der Beamte Axel Friedrich hat die verdächtigen Laster untersucht und festgestellt: „Wir haben bei einem Daimler-LKW die elektronische Steuereinheit geöffnet und nachgewiesen, dass dieses Fahrzeug auf den Prüfzyklus optimiert war. Das heißt, im realen Leben waren die Emissionen viel, viel höher als auf dem Prüfstand.“

Wegen der manipulierten Software mussten Lkw-Bauer damals hohe Geldstrafen zahlen – in den USA. In Europa blieben die Manipulationen straffrei. In Deutschland kam es zu einer Gesetzesänderung. Seitdem fahren Diesel-LKWs sauber.

Doch nun wurde dieselbe Manipulation auch bei PKWs nachgewiesen.

Dem ADAC fiel beispielsweise ein Opel Insignia Turbodiesel auf, der  sich trotz SCR-Kat mit Harnstoff-Eindüsung und höchster Euro-Schadstoffklasse 6 auf der Straße als Dreckschleuder erwiesen haben soll.

Trotz vorhandener Eindüstechnik für AdBlue blies das Motorsteuergerät von General Motors beim Opel Insignia Turbodiesel laut ADAC EcoTest 240 Milligramm Stickoxide pro Kilometer in die Luft – dreimal so viel, wie der PKW-Grenzwert vorsieht.

Das ZDF-Magazin Frontal21 machte eine Stichprobe: Nach 3.800 Kilometern Fahrt hatte der Opel 1,35 Liter Harnstoff, sogenanntes AdBlue, verbraucht. Das ergibt, bezogen auf den Kraftstoffverbrauch, einen AdBlue-Verbrauch von nur 0,57 Prozent. Zum Vergleich: Ein moderner LKW verbraucht bis zu sieben Prozent, um sauber zu sein. Eigentlich müssten PKWs genauso viel AdBlue im Verhältnis zum Dieselkraftstoff verbrauchen, um sauber zu sein, bestätigte der Autoexperte Stefan Carstens von der EngineSens Motorsensor GmbH aus Viernheim bei Mannheim in Hessen.

Auf Nachfrage von Frontal21 erklärt der Hersteller, der AdBlue-Verbrauch des Insignia entspräche dem industrieweiten Durchschnitt bei Diesel-PKWs.

Und VW und Bosch?

Die Software-Ingenieure von Bosch und VW sollen die Abgastests für ihre elf Millionen Dieselfahrzeuge gekonnt ausgetrickst haben, behauptete der Software-Experte und Hacker vom Chaos Computer Club Felix Domke. Denn Domke fährt selbst einen blauen VW Sharan Diesel und fand im letzten Jahr heraus, dass sein Sharan zu 75 Prozent im „alternativen“ Modus mit einem stark reduzierten Verbrauch von AdBlue-Flüssigkeit fuhr. Was einen erhöhten Stickoxidausstoß zur Folge hat. Nur in zwei bis drei Prozent der Fälle war der Standardmodus aktiviert. Bei den übrigen Fahrten, also fast einem Viertel, sei gar kein Harnstoff dosiert worden. Dies sei in der Warmlaufphase des Motors der Fall. Domkes VW verbrauchte nur 0,6 Liter AdBlue-Flüssigkeit pro 1.000 Kilometer. Normalerweise würden 2,5 Liter auf 1.000 Kilometern benötigt.

Domke hat sein Laptop mit dem Motorsteuergerät seines VW Sharan verbunden und konnte genau messen, unter welchen Bedingungen der Sharan AdBlue dazugab und wann nicht.

Domke kaufte sich  bei Ebay eine baugleiche Bosch-Steuerungstechnik und ging der Sache auf den Grund. Beim Hackerkongress 32C3 Ende Dezember 2015 in Hamburg (Video ab 40. Minute) präsentierte Domke, auf welche Weise die Software der Dieselfahrzeuge programmiert ist, um die Reduzierung von Stickoxiden mit Hilfe von AdBlue zu kontrollieren. Per Reverse Engineering nahm Domke dazu das gekaufte Bosch-Motorsteuergerät (ECU) auseinander und analysierte dessen Code.

Sein Fazit: Der Autozulieferer Bosch sah darin verschiedene Modi für die Reduzierung von Stickoxiden vor. VW bestimmte demnach die Parameter, um diese zu aktivieren. Der Abschalt-Modus reagierte auf Akustik wie etwa Fahrgeräusche (Fahrtwind oder laute Musik), die es bei Tests üblicherweise auf den Laufrollen nicht gibt.

Auch der Mercedes C 220 CDI bläst im Straßenbetrieb viel mehr Stickoxid in die Atemluft, als der Grenzwert vorsieht.

Das hat das niederländische Prüfinstitut TNO festgestellt. Auch der Mercedes hat einen SCR-Kat mit Harnstoff-Eindüsung und war auf dem Rollenprüfstand sauber. Im Straßenbetrieb hingegen waren die Stickoxidwerte um ein Vielfaches höher.

Laut TNO blies der Mercedes C220 CDI im Schnitt auf der Straße 643 Milligramm giftige Stickoxide in die Luft – das Achtfache des PKW-Grenzwerts. Dabei kann Mercedes auch sauber. Beispiel der Mercedes Actros. Der 18-Tonner emittierte gerade einmal 250 Milligramm pro Kilometer – und hielt damit den LKW-Grenzwert ein.

Der kleine Mercedes C 220 CDI bläst damit mehr als doppelt so viel Stickoxide in die Atemluft wie ein großer Mercedes-Lkw des Typs Actros. Warum gelingt es Mercedes nicht, auch saubere Diesel-PKW zu bauen? Diese Frage beantwortete Daimler dem ZDF nicht. Stattdessen drohte der Autobauer mit rechtlichen Schritten, „sollten Falschbehauptungen oder unberechtigte Vorwürfe das Ansehen unseres Unternehmens beschädigen.“

TNO: “Es scheint, dass auf dem Rollenprüfstand eine andere Strategie zur Reduzierung von NOx genutzt wird als auf der Straße.“

Für Axel Friedrich, den ehemaligen Leiter der Verkehrsabteilung beim Umweltbundesamt, wiederholt sich die Geschichte. Damals waren die Lkw manipuliert und auf der Straße schmutzig. Nun offenar die PKWs.

Friedrich: „Man hat ein Déjà-vu-Erlebnis. Ich erkenne die gleichen Aussagen von 2003 heute wieder. Genau die gleichen Dinge, genau die gleichen Umgehungsmaßnahmen, genau die gleichen Optimierungen. Das heißt, es hat sich nichts geändert.“

Drei Mal so viel Menschen sterben an Umweltgiftgasen wie bei Unfällen.

Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe e.V. aus dem Hackeschen Markt 4 in Berlin Mitte warnt: „Die Folgen sind sehr drastisch. Über 10.000 Menschen sterben im Moment pro Jahr an den Folgen dieser Giftgasemissionen von Diesel Fahrzeugen. Das muss man sich mal im Verhältnis betrachten zu Verkehrsunfällen: Es sind fast dreimal mehr Todesfälle, die jedes Jahr in Deutschland auftreten, als durch Verkehrsunfälle.“

Mercedes behauptet in einer Stellungnahme, man halte sich an die Gesetze. Doch das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes kam zum gegenteiligen Ergebnis. Nun muss die Politik noch einmal handeln, wie 2003 bei Lastern. Denn Lasterfahrer Leszek Muchowski von der Spedition Kobernuss in Uelzen (Niedersachsen) hätte niemals gedacht, dass sein 40-Tonner Laster weniger Stickoxide emitiert als PKW.

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