Deutsche Musterkolonie Neufeld: 20.000 Russland-Deutsche verloren 45 Millionen Euro in Paraguay

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Die Kolonie Neufeld in der Provinz Caazapa ist 45 Kilometer von der nächsten Stadt entfernt und nur über einen unbefestigten Sandweg zu erreichen (Foto © Stadtmusikant.org.de)
Die Kolonie Neufeld in der Provinz Caazapa ist 45 Kilometer von der nächsten Stadt entfernt und nur über einen unbefestigten Sandweg zu erreichen (Foto © Stadtmusikant.org.de)

170 Familien aus Russland-Mennoniten (eine plattdeutsch sprechende Minderheit unter den Russlanddeutschen) haben das Experiment gewagt und sind von Deutschland aus als russische Spätaussiedler weiter in die 2005 als Deutsche Musterkolonie gegründete Kolonie Neufeld nach Paraguay ausgewandert. Angeblich sollte man in Südamerika auf der eigenen Scholle mit Macademia-Nüssen reich werden können. Es war eine Falle. 

Nur die Hälfte schaffte die Rückkehr nach Deutschland. Der Rest sitzt fernab jeglicher Zivilisation in Gästewohnungen der Kolonie völlig mittellos fest. Rettung ist vorerst nicht in Sicht.

Denn über die Neufeld GmbH aus Kalletal in Ostwestfalen, der sie ihr gesamtes Vermögen anvertraut hatten, hat das Amtsgericht Lemgo Anfang November 2011 das Insolvenzverfahren eröffnet.

Und keiner der Kolonisten wurde ins Grundbuch eingetragen. Manche hatten bereits schicke Häuser errichtet, bis sie feststellten, dass sie auf fremden Grund gebaut hatten.

Laut Insolvenzverwalter Raimund Schafmeister gibt es 20.000 Gläubiger, die in Hoffnung auf einge eigene Scholle in Paraguay insgesamt 60 Millionen Euro eingezahlt haben. 15 Millionen Euro wurden als Sofortgewinne aus Setzlingen der Macademia-Nuss gezahlt, die die Kolonisten mitkaufen mussten. Wie sich später herausstellte, gab es aber gar keine Macademia-Plantagen. Die Gewinne wurden aus den Einzahlungen (Mindestbetrag 10.000 Euro) immer neuer neuer Kolonisten bezahlt – wie bei einem Schneeballsystem also. „Viele Russlanddeutsche haben sich verschuldet, um über die Neufeld GmbH ein Grundstück in der Provinz Caazapa zu erwerben“, erklärte Schafmeister.  Sie wurden Opfer eines ausgebufften Landsmannes.

Der Kasachendeutsche Nicolai Neufeld (54) war wie sie als Spätaussiedler im Jahr 1990 nach Deutschland ausgewandert. Hier gründete er mit seinem jüngeren Bruder Johannes zunächst in Kalletal in Westfalen ein Reisebüro. Die Brüder Neufeld boten als erste in Deutschland Direktflüge nach Kasachstan an.

Die Neufeld GmbH brachte in russischer Sprache die Monats-Zeitung Semljaki (Landsleute) in einer Auflage von 80.000 Exemplaren heraus. Von einer eigenen Scholle träumten die meisten aus Russland, Kasachstan und Sibirien stammenden Spätaussiedler, die in Deutschland Fremde waren. Das wussten die Neufelds, die selbst auch Spätaussiedler sind, nur zu gut. Die Zeitung verfehlte ihr Ziel nicht.

Nicolai Neufeld hatte sich rund 26.000 Hektar Land in der Provinz Caazapa in Paraguay gekauft. Es war der Grundstock für die Deutsche Musterkolonie Neufeld. Neufeld hatte pro Hektar Land 116 Euro bezahlt. Von seinen Landsleuten verlangte er nun 2.400 Eur pro Hektar und trug sie nicht einmal ins Grundbuch ein.

Sie mussten mindestens 4 Hektar für knapp 10.000 Euro und noch einmal Nussbaum-Setzlinge für 25.000 Euro kaufen. Auf die Nuss-Setzlinge sollte es eine sofortige Rendite von jährlich 12,5 Prozent geben, mindestens 300 Euro im Jahr.

Viele sind aus ländlichen Gebieten Sibiriens, Kasachstans und der Ukraine nach Deutschland gekommen. Bei ihnen treffen die Verheißungen von der eigenen Scholle und dem Anbau von geldbringenden Nüssen auf offene Ohren.

Reich mit Nüssen aus Paraguay

Die Macadamia-Nüsse sollten den Kolonisten in Paraguay Unabhängigkeit und Wohlstand bescheren. Die im Regenwald von Queensland in Australien entdeckte Königin der Nüsse mit einem hohen Eiweiß- und Fettgehalt kostet im Geschäft 31 Euro pro Kilo. Hauptweltproduzent sei jetzt noch Hawaii. Doch die Kolonie Neufeld in Paraguay wollte dieses Monopol brechen und selbst zur Nummer Eins der Macadamia-Nuss-Erzeuger aufsteigen. Auch wenn das Schälen der Nüsse sehr aufwendig ist. Ihre Schale ist die härteste Nussschale der Welt. Und selbst, wenn die Nüsse an sechs Meter hohen Bäumen wachsen, die ganze acht Jahre brauchen, ehe sie die ersten Früchte tragen. Jeder, der investiert, würde mit Hilfe der Kolonie sofort Gewinn machen und mit seiner Familie ein Auskommen haben, bei dem man sich sogar ein Dienstmädchen leisten könnte.

Koloniegrüner Nicolai Neufeld bewarb seine Kolonie mit den Worten: „Man schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Man erwirbt eigenes Land und wird finanziell unabhängig. Unser Konzept ist besser als die Riesterrente oder jeder Investmentfonds.“

5 Jahre Haft für Nicolai Neufeld

2011 – sechs Jahre nach Koloniegründung – wurde Neufeld als geschäftsführender Gesellschafter der Neufeld GmbH in Kalletal verhaftet. Am 21. Mai 2012 wurde Neufeld von der Wirtschaftskammer des Landgerichts Detmold nach einem Geständnis wegen 1.900fachen Immobilienbetruges mit Grundstücken in seiner Neufeld Kolonie in Paraguay zu fünf Jahren Haft verurteilt. Bei den Scheingeschäften seien mindestens 14 Millionen Euro bis heute verschwunden (Aktenzeichen 4 KLs6Js145/11 – 23/12).

Nach einem Bericht des Wochenblatts aus Acahay in Paraguay verkommt die Deutsche Musterkolonie Neufeld mehr und mehr zu einer Geisterstadt: „Neufeld kaufte einige der Häuser zu einem Spottpreis zurück. Viele der Kolonisten leben mittlerweile in anderen Orten des Landes oder kehrten, wenn es ihnen möglich war, nach Deutschland zurück. Wer geblieben ist, lebt unter harten Bedingungen total verlassen im Nirgendwo. Währenddessen wachsen das Unkraut und die Büsche – die Natur beginnt sich den Ort zurückzuholen.“

Die deutsche Kolonisten, die noch in der Provinz Caazapa wohnen, baten inzwischen den Chef des Abgeordnetenhauses von Paraguay, Victor Bogado (ANR), um Hilfe bei der Erlangung beziehungsweise Aushändigung ihrer Grundstückstitel, auf welche sie seit Jahren in der Kolonie Neufeld warten. Die drängendsten Fragen der Kolonisten und Anleger drückte ein Kommentator am 19. Mai 2015 im Wochenblatt in Acahay so aus: „Weiß jemand, wie es hier weitergeht? Gibt es eine Chance, das Geld zurückzuerhalten? Sind die Grundstücke nun in den Grundbüchern eingetragen mit den richtigen Besitzern?“

Die Deutsche Neufeld-Kolonie ist eine Kopie der gescheiterten Schweizer Kolonie Rosengarten in Paraguay

Mit demselben Konzept wie die Kolonie Neufeld startete im Jahre 1994 die Schweizer Kolonie Rosaleda (Rosengarten) in Chaco im Nordwesten Paraguays. Die nicht erfolgten Grundbucheinträge waren in der Kolonie für die Käufer im Jahre 2004 verjährt. Ihnen gehört das gekaufte Land also gar nicht rechtmäßig. Die versprochenen sozialen Einrichtungen aus der Differenz zwischen Schweizer Hektarpreis (auch 2.400 Euro) und paraguayischer Preis (8 Euro) sollten in Gemeinschaftseinrichtungen und Infrastruktur investiert werden. An den geplanten Plätzen herrscht heute gähnende Leere. Allein Pflanzen wie Bohnenschoten als Viehfutter brauchten vier Jahre bis zur ersten Ernte. Die fiel meist aus, weil Termiten, Ameisen und Blattschneider des Nachts die Wurzeln auffrassen.

Das Grundwasser ist stark salzig. Nur Regenauffanganlagen sicherten das blanke Überleben der völlig abgeschiedenen Auswanderer. Das Gemüse-Projekt der Schweizer endete für die Anleger im Jahre 2009 nach 15 Jahren im Totalruin. Der Verein Rosaleda existiert nicht mehr. Ein großer Teil der Bewohner hat Rosaleda den Rücken zugekehrt. Viele Grundstücke stehen wieder zum Verkauf beziehungsweise wurden vom Verkäufer ja nie wirklich verkauft. Das Land wird in dieser Region heute praktisch verschenkt!

Dass der Vergleich zur Schweizer Kolonie nicht hinkt, bekräftigt eine deutschstämmige Paraguayerin so: „Das Areal, wo die neue Siedlung ist, ist fast so öde wie der Chaco. Wenn es regnet, säuft alles ab, und wenn es nicht genügend regnet, vertrocknet alles. Die deutschrussischen Landsleute kommen im Grunde zum Verhungern rüber, und müssen das auch noch teuer bezahlen.

Wenn das Land wirklich so ertragreich wäre, wie von den Werbern beschrieben, gäbe es dort keinen Zentimeter mehr zu kaufen. Aber so wollen es auch die Landlosen in Paraguay nicht haben.

Solch eine Masche lief hier schon mal, und zwar in der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges. Damals sollen Hunderte von Deutschen auf ihren Grundstücken verhungert sein …! Es ist eine Schweinerei ohne Ende, denen gehört das Handwerk gelegt.“

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13 KOMMENTARE

  1. Mit der neufeldskolonie braucht es nicht so enden wie man vermutet. Da wird jetzt gutes fundament gelegt. Wo gott herrscht, wo menschen gott fuerchten, ihm gehorchen und ihm folgen, dort wird gott segen geben. Lasst zu dieser kolonie nur menschen hinwandern und einzahlen, die gott gehorchen. Nur so wird dort ein wirklich eine kolonie entstehen die bluehen wird. Ich bin aus der kolonie neuland und will diese leute helfen mit gott als fundament diese kolinie zu bauen. Gruss an alle.

  2. Diese armen Menschen!
    Der Ursprung dieser Betrügereien liegt in der Gesetzgebung. Die ehrlichen Leute gehen Versprechungen auf den Leim und die Urheber sitzen, wenn überhaupt, ein paar Jährchen ab und können sich mit den versteckten Millionen ein schönes Leben machen. In den allermeisten Fällen hat man gar nicht die Chance zur Klage und wenn, dann werden die wenigsten ein gerichtliches Verfahren. Die Lügen zählen einfach mehr und der ehrliche ist der Dumme. Für den Betrüger gibt es das Insolvenzverfahren und danach ist die Weste rein und er kann unbeschadet Weiterleben auf Kosten der Allgemeinheit oder der Betrogenen.

  3. Die Kolonie Neufeld heisst jetzt Reinland und macht einen neuen Anfang, nachdem man dem Betrüger das Handwerk gelegt hat.

  4. Ich denke, daß die Betroffenen sich zusammenschließen und aufraffen sollten, aus dem ihnen versprochenen Land durch Eigenleistung etwas zu machen. Und wenn es eine Hühnerfarm ist! Auf Gottes Hilfe zu warten, endet im Krematorium, welches manche himmlisches Paradies oder Höllenfeuer nennen … .

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